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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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beschildert, die andere nicht, das Klimpern der Schlüssel, die Begrüßung durch das Rumpeln der U-Bahn und das Flackern der Lichter, dann die leichte Anspannung, die in der Luft lag, weil Gilbert sich fragte, was genau ich hier eigentlich suchte – und ob es vielleicht doch keine so gute Idee war, es mir zu zeigen. Am Aufregendsten war jedoch, was ich in diesem gigantischen Wasserfall aus Kabeln sah, oder vielmehr was ich mir bei seinem Anblick vorstellte: die unglaubliche Fülle der unzähligen Dinge, die wir auf elektronischem Weg auf die Reise schicken. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass die Wörter, mit denen wir die »Telekommunikation« beschreiben, ihrer Bedeutung für unser heutiges Leben nicht gerecht werden und ihrer physischen Greifbarkeit noch viel weniger. Doch einmal mehr war zum Verweilen keine Zeit. Seit wir den Raum betreten hatten, waren kaum 45 Sekunden vergangen, als Gilbert zur Tür ging und den Finger auf den Lichtschalter legte. »Tja, das ist eigentlich alles«, sagte er, und das Licht verlosch.
    * * *
    In gewisser Weise befanden sich unmittelbar jenseits der Grundmauern der Avenue of the Americas Nr. 32 die Leitungsrohre unter den Straßen. Das hier war eine der geheimnisvollsten Ecken von Lower Manhattan, die auf eigentümliche Weise in der vierten Dimension zu existieren schienen – dort, wo gewundene Gänge zu Friseurgeschäften jenseits von Raum und Zeit führten. Folgte man den gefliesten Wänden der verschlungenen Gänge, während gleich um die Ecke eine U-Bahn vorbeiratterte, so wusste man nie genau, wie tief im Bauch der Stadt man sich befand. Es war, als würde die Welt unter den Straßen endlos weitergehen. Doch in der Zeit, die man hier herumgelaufen ist, selbst wenn es nur eine Minute war, hätte eine viel weitere Reise vonstattengehen können – und das viele Male. Denn wenn man die Perspektive nur etwas änderte, befand sich unmittelbar jenseits der Grundmauern der Avenue of the Americas Nr. 32 London.
    Die internationale Internetroute mit dem höchsten Datenaufkommen verläuft TeleGeography zufolge zwischen New York und London, als lägen die beiden Städte an den Enden des am hellsten erleuchteten Rohrs des Internets. Für das Internet, wie für so vieles andere, ist London das Scharnier zwischen Ost und West, der Ort, wo die Netze diesseits des Atlantiks mit jenen aus Europa, Afrika und Indien verknüpft sind. Ein Bit auf dem Weg von Mumbai nach Chicago kommt ebenso in London und New York vorbei wie eines von Madrid nach São Paulo oder von Lagos nach Dallas. Es ist, als zöge die vereinte Gravitation beider Städte das Licht an, wie so vieles andere.
    Trotzdem hat das Internet in den beiden Städten völlig unterschiedliche Formen angenommen. Ich war von der Annahme ausgegangen, London sei die alte Welt und New York die neue. Was das Internet betrifft, so ist es jedoch genau andersherum. Während das Internet in Amsterdam in flachen Industriebauten am Stadtrand versteckt war und in New York in Art-déco-Palästen residierte, stellte es in London ein eigenes, in sich geschlossenes Viertel östlich des Canary Wharf und der City dar, das offiziell »East India Quay« heißt, von Netzwerktechnikern, und nicht nur von ihnen, jedoch schlicht als »die Docklands« bezeichnet wird. Hier ballte sich alles zusammen, es war ein regelrechtes Internetviertel. Ich fragte mich, was sich in seinem Zentrum befinden mochte. Und wie nahe ich ihm kommen konnte.
    Als ich ein Vierteljahr später in London ankam, näherte ich mich dem Viertel auf angemessen futuristische Weise, in einem fahrerlosen Zug der »Docklands Light Railway«. Rasch ließ er die eleganten Bögen und gefliesten Gänge des alten U-Bahn-Systems hinter sich und rollte ostwärts, vorbei an den glänzenden Bürotürmen des Canary Wharf, an denen die Namen großer internationaler Banken prangten. Es war eine Art Utopia für Unternehmen, eine urbane Landschaft, die unmittelbar einem Roman von J. G. Ballard entnommen schien, angesiedelt »am Nordufer des Flusses in einem Gebiet aufgelassener Hafen- und Speicheranlagen, das eine Quadratmeile groß war« – so Ballard 1975 in Hochhaus . Die »Hochhäuser befanden sich am östlichen Rand des Projektgeländes, mit Blick über einen Zierteich – gegenwärtig ein leeres Betonbecken, das von Parkplätzen und Baumaterialien umgeben war. […] Die Wuchtigkeit der Glas- und Betonbauten sowie ihre eindrucksvolle Lage an einer Biegung des Flusses hoben das Sanierungsprojekt scharf von

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