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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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London Internet Exchange, der sich angeboten hatte, mir einen der zentralen Switches zu zeigen – den Nachfolger des ersten Kastens von Pipex. Wir betraten zwei nebeneinander angeordnete Glasröhren, jede kaum breit genug für eine Person, mit Sicherheitsdrehtüren vorn und hinten und einem wackligen, nicht mit den Seitenwänden verbundenen Boden – eine Waage, auf der Besucher beim Betreten und Verlassen des Gebäudes gewogen wurden, um sicherzustellen, dass sie kein schweres (und teures) Equipment mitgehen ließen. Während wir für einen langen Augenblick stumm darauf warteten, dass der unsichtbare Computer unser Gewicht und unsere Identität überprüfte, warf mir Silcock durch das gerundete Glas plötzlich einen fragenden Blick zu. Ich hatte wohl unwillkürlich laut aufgelacht. Es war aber auch zu komisch: Ich befand mich im Inneren eines Rohres!
    Doch als wir tiefer in das Gebäude vordrangen, wurde der Hightech-Schnickschnack weniger und gab den Blick auf eine verstaubtere Realität frei. Wirkte das Viertel draußen völlig unter Kontrolle – fein säuberlich geschrubbt, so gar nicht wie in einem Dickens-Roman –, so war die Atmosphäre hier im Telehouse eine eigenwilligere. Zum ursprünglichen Gebäude, heute »Telehouse North« genannt, waren über die Jahre zwei weitere hinzugekommen, beide größer und moderner als das erste: das »Telehouse East« aus dem Jahr 1999 sowie das 2010 eröffnete »Telehouse West«. Man kann die drei als eine kurze Architekturgeschichte des Internets lesen. Das ursprüngliche Telehouse stand in der Tradition des durch das Centre Pompidou berühmt gewordenen Hightech-Stils. Mit seinen stählernen Markisen hatte es etwas Maschinenhaftes. Drinnen war der Zahn der Zeit unverkennbar, die grauen Teppichböden waren verschlissen, die weißen Wände vergilbt, an den Decken hingen aus kaputten Kabelschächten dicke Stränge unbenutzter Kupferkabel. Das mittelalte Gebäude war elegant und schlicht – im Inneren eine Studie in Linoleum. Das jüngste hatte eine fensterlose Fassade mit einem Muster aus pixelartigen Stahlplatten. Es roch nach Farbe und Kaugummi, und auf den Fluren schoben Techniker mit brandneuem Equipment beladene Transportwagen vor sich her. Verbunden waren die Gebäude über ein sternförmig angelegtes System von Brücken und Treppenhäusern. Die schweren Brandschutztüren und die archäologischen Schichten aus Schildern und Haustechnik, die an den Wänden ihre Spuren hinterlassen hatten, erinnerten mich an ein Krankenhaus. Doch statt Ärzten und Krankenschwestern traf man hier Netzwerktechniker, fast ausnahmslos Männer, die mit ihren kurz geschnittenen Haaren und gepflegten Spitzbärten aussahen, als wären sie auf dem Weg in einen Nachtclub oder kämen gerade von dort. Wie sich auf dem Parkplatz zeigte, hatten sie eine Vorliebe für aufgemotzte Autos, und sie trugen überdimensionierte, ungewöhnliche Smartphones und große Laptoprucksäcke. Fast alle hatten schwarze T-Shirts und Kapuzensweatshirts mit Reißverschluss an, genau das Richtige, wenn man viele Stunden auf dem harten Boden der Serverräume verbringen und die trockene Luft aus dem Lüfter eines riesigen Routers atmen musste.
    Als Silcock und ich das Telehouse North betraten, über eine Fußgängerbrücke mit unverkleideter Stahlblechdecke und schäbigen Fenstern mit Blick auf den Parkplatz, war das wie eine Reise in die Vergangenheit. Wir gingen an einem Leiterregal voller violetter Kabel entlang – der einzige Farbtupfer in dieser trostlosen Umgebung. Auf dem Gang fanden sich überall verräterische Pappschachteln, auf kaputten Bodenfliesen standen Sägeböcke mit Warnhinweisen. Auf einem Stuhl mit gerader Rückenlehne saß ein Wachmann und las einen Spionageroman. Durch eine Tür mit Glasfenster sah ich leere Schreibtische, Überreste aus der Zeit als Ausweichgebäude für Notfälle. In den meisten Räumen jedoch reihte sich ein hohes Regal an das nächste, allesamt vollgestopft mit dem gleichen Equipment, das ich aus Palo Alto und Ashburn, Frankfurt und Amsterdam kannte. In den Ecken ergossen sich von der Decke herab gigantische Kabelstränge, dick und sehnig wie junge Baumstämme. Ein Großteil davon war nicht mehr in Gebrauch; mit dem ausgedienten Kupfer hier im Telehouse, so ein beliebter Witz, ließe sich ein Vermögen verdienen. Die Gegend draußen war eine der wenigen Ecken, an denen London menschenleer, bieder und zweidimensional wirkte; in der virtuellen Welt hier drinnen dagegen schien

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