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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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einen Arbeitsplatz in der City war. Diese ersten, robusten Bausteine einer Telekommunikationsinfrastruktur bereiteten das Gebäude auf das vor, was danach kam: zuerst die Liberalisierung des britischen Telekommunikationsmarktes, und schließlich das Internet. Dass es dem Einfluss der British Telecom entzogen war, machte das Telehouse für die neuen, privaten Telefongesellschaften zum idealen Ort, um ihre Netze physisch miteinander zu verbinden. Alsbald zogen die vielen Telefonkabel einen britischen Internetprovider der ersten Stunde an: Pipex richtete hier seinen »Modempool« ein, mehrere Dutzend auf einen Sperrholzrahmen geschraubte Kästen von der Größe eines Buches, die jeweils eine einzelne Telefonleitung mit einer gemeinsamen Internetleitung verbanden. Pipex machte sich die Telekommunikationsinfrastruktur des Gebäudes gleich doppelt zunutze, indem es die lokalen Telefonanschlüsse mit den internationalen Datenautobahnen verband – denn damals erforderte das zwei Reisen über den Atlantik, einmal zum MAE -East und zurück. Von da an entwickelte das Wachstum des physischen Internets die uns vertraute Eigendynamik. Die beiläufigen Entscheidungen einer Handvoll Netzwerktechniker, auf der Infrastruktur dieses Gebäudes aufzubauen, hatten weitreichende Auswirkungen auf die zukünftige Gestalt des Internets.
    Der halboffizielle Ritterschlag für das Telehouse erfolgte 1994, als hier der London Internet Exchange, kurz LINX , eingerichtet wurde, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Modempool von Pipex und mit einem von Pipex gestifteten Switch. Damals durfte ein Netzwerk den Internetknoten nur dann nutzen, wenn es über Verbindungen »außer Landes« verfügte – was praktisch eine eigene Leitung in die USA voraussetzte. Diese elitäre Regelung war Anlass genug für den berühmten Witz, der LINX werde geführt wie ein »Gentlemen’s Club«. Aber sie hatte eine wichtige, obschon unbeabsichtigte Konsequenz: Die großen Internetprovider begannen im Telehouse, ihre internationalen Leitungen an kleinere Anbieter weiterzuvermieten. Wer als Unternehmen nicht groß genug war, selbst eine Transatlantikverbindung einzurichten (und sich daher nicht über den Internetknoten mit anderen vernetzen durfte), der konnte sich zumindest mit einem der Großen vernetzen, indem er einen Serverschrank im Telehouse mietete und sein Equipment dort installierte. Der letzte Schritt war ein ganz konkreter. »Man konnte ins Telehouse kommen und sich über ein einziges Glasfaserkabel mit allen vernetzen«, erinnert sich Nigel Titley, einer der Gründer des LINX . Als BTN et, der neu gegründete Serviceprovider der British Telecom, noch vor dem Jahresende 1994 eine 2-Megabit-Leitung quer durch London mietete und neben dem Router von Pipex seinen eigenen aufstellte, war der Status des Telehouse besiegelt. Als dann einige Jahre später neue Transatlantikkabel verlegt wurden, war es keine Frage mehr, wo sie enden würden. Die östliche Hemisphäre hatte ein neues Internetzentrum. Im Telehouse liefen alle Leitungen zusammen, in einem endlosen Geflecht aus kleinen Telefongesellschaften, Pornographen, Handelsplattformen und Webhostern, das einem globalen Gehirn glich und fast ebenso viele Neuronen hatte.
    Heute hat jeder, der in London etwas mit der Internetinfrastruktur zu tun hat, Equipment im Telehouse – und damit auch einen Schlüssel. Fast alle Netzwerktechniker in London, zu denen ich Kontakt aufnahm, boten mir an, mich dort herumzuführen. Ein Tor glitt lautlos zur Seite, um den Weg für Autos freizugeben, aber ich schob mich, aufmerksam vom Pförtner beäugt, durch ein mannshohes Drehkreuz. Das Telehouse bestand mittlerweile aus mehreren, von einem hohen Stahlzaun umgebenen Gebäuden. Die Sicherheitsmaßnahmen waren streng. Im Jahr 2007 deckte Scotland Yard einen Al-Qaida-Plan auf, das Gebäude von innen zu zerstören. Wie aus den bei einer Razzia bei radikalen Islamisten sichergestellten Festplatten hervorging, hatten diese das Telehouse intensiv beobachtet, ebenso wie einen Komplex von Gasterminals an der Nordseeküste. »Betreiber von großen Rechenzentren wie Telehouse sind strategisch wichtige Unternehmen, die im Internet eine zentrale Funktion haben«, so der technische Direktor von Telehouse gegenüber der Sunday Times . 44
    Über einen kleinen Parkplatz gelangte ich zur zweistöckigen Empfangshalle mit Glaswänden an drei Seiten und großen Gummibäumen in den Ecken. Dort traf ich Colin Silcock, einen jungen Netzwerktechniker vom

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