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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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den eine Brücke mit Gitterboden und einem Geländer aus dünnen Rohren auf Hüfthöhe führte. Wir traten durch die Tür, so dass unter uns 25 Stockwerke absoluter Dunkelheit lagen – abgesehen vom unsichtbaren Licht in Tausenden erleuchteten Glasfasern natürlich. Die Wände des Schachts waren mit Metallrohren und »Innerduct« bedeckt, orangefarbenen, roten oder schmutzig-weißen Plastikrohren, die hier und da aufgeschnitten waren und den Blick auf dicke, schwarze, fein säuberlich gebündelte Kabelstränge freigaben. Wollte ein Netzbetreiber ein neues Kabel einziehen, so musste es eine solche schützende Plastikhülle aufweisen; die meisten zogen eine zusätzliche Metallschicht vor. Über uns bogen die Kabel ab und fädelten sich in die Leitungsschächte an der Decke des Servergeschosses ein, wie eine Autobahneinfahrt in der Vertikalen.
    Gilbert und ich machten uns auf den Weg in den Keller – dorthin, wo MCI eine Bresche in das Bollwerk von AT & T geschlagen hatte. Ich verlor den Überblick, durch wie viele Türen wir gingen, aber es war mindestens ein halbes Dutzend, ehe Gilbert ein orangefarbenes Hütchen zur Seite stellte, an einem riesigen Schlüsselbund nach dem richtigen Schlüssel suchte und eine unscheinbare Tür aufschloss. Als flackernd die Lampen angingen, tat sich vor uns ein riesiger Raum auf, eine Art überdimensionierter, begehbarer Schrank. An der Wand zur Straße mündete die hohe Decke in einen Vorsprung, den Kinder nutzen würden, um ein Lager zu bauen. Die Glasfaserkabel durchdrangen das Fundament des Gebäudes unter Straßenniveau durch ein spezielles Rohr, den sogenannten Point of entry. Unter den seltsamen und teuren Blüten, die der New Yorker Immobilienmarkt treibt, wie Stellplätze für 800 Dollar im Monat oder Appartements mit 18 Quadratmetern, gehörten diese kurzen Rohrstücke zu den seltsamsten und teuersten. In der Anfangszeit des Glasfaserausbaus, Mitte der neunziger Jahre, nahmen Hausbesitzer kaum von ihnen Notiz; das Verlegen neuer Kabel wurde auf Anfrage anstandslos genehmigt. Doch als sich die Netze in Gebäuden wie diesem breitzumachen begannen, wurde den Eigentümern zunehmend bewusst, wie wertvoll diese Schlüsselstellen waren. Gilbert wollte keine Details nennen, aber soweit ich gehört hatte, waren 100 000 Dollar pro Jahr keine Seltenheit – für eine Distanz von weniger als zwei Metern.
    »Als wir das Gebäude gekauft haben, war der ganze Raum voller Kabel mit Etiketten wie ›Des Moines, Chicago‹. Sie führten ohne Zwischenstopp direkt in diese Städte. Wir hätten ein paar davon aufheben sollen«, sagte er wehmütig. Stattdessen stellten sie drei Männer ein, um die alten Kabel zu entfernen, wobei sie jedes einzeln testen mussten, um sicherzugehen, dass es nicht mehr für Telefongespräche genutzt wurde. Bis der Raum leer war, brauchten die drei zwei Jahre; dann wurden die Betonziegel im Standardgrau für Kellerräume gestrichen. Und dann kamen die neuen Glasfaserkabel.
    Ich blickte nach oben, zu der Stelle, wo Wand und Decke sich trafen. Von dort ergoss sich ein gewaltiger Strang miteinander verschlungener schwarzer Kabel, die dicke, mit verdrilltem Draht befestigte Papieretiketten trugen. Es gab Stahlzylinder und Verbindungskästen aus Plastik, alles miteinander verheddert wie Bindfäden – so strömte es von der Straße herein. Manche Kabel umschlangen sich gegenseitig, schlaff genug, dass sie bei Bedarf durchtrennt und gespleißt werden konnten. Andere Kabel waren dick und steif. An der Wand waren vertikale Metallrahmen angebracht, in denen in ordentlichen Reihen, wie Gartenschläuche, weitere Kabel verliefen. Hatte der entsprechende Raum in Ashburn die Atmosphäre einer Flughafentoilette, so kündete das seltsame Erscheinungsbild dieses Raums von einer langen Geschichte des Aus- und Umbaus, vom Nachhall der Telefongespräche aus einem ganzen Jahrhundert und den Überresten von zehntausend Nächten, in denen auf den Straßen droben gearbeitet worden war. Es rief mir in Erinnerung, wie sehr die physische Gestalt des Internets durch die Zwischenräume definiert wurde – sei es im Inneren eines Routers oder dort, wo die Kabel das Fundament eines Gebäudes durchdrangen.
    Ich war an vielen geheimen Orten in New York gewesen, aber wenige hatten eine solche Aura. Teilweise lag es an der rätselhaften Art und Weise, wie wir hierher gelangt waren – am Eingang zur U-Bahn vorbei, ein paar Stufen hinauf, ein paar Stufen hinunter, durch immer noch eine Tür, die eine

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