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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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aus dem allerersten transatlantischen Telefonkabel TAT -1. Es verband New York – dieses Gebäude – mit London, aber das eigentliche Seekabel verlief zwischen Neufundland und Oban in Schottland. Entworfen hatte es Gilberts Großvater. Als Ingenieur bei Bell Labs entwickelte er ein »unterseeisches Telefonkabel mit unter Wasser aufgestellten Verstärkern«. Gilbert bewahrte den Kabelabschnitt auf seinem Schreibtisch auf als eine Art Talisman, der ihn an die physische Realität der Telekommunikation erinnerte, über die er wachte.
    Nachdem Rudin das Gebäude für 140 Millionen Dollar gekauft hatte, sorgte Gilbert dafür, dass es weiterhin als Kommunikationsknotenpunkt diente. Er machte sich mit den besonderen Bedürfnissen der Branche vertraut und renovierte das Haus, damit es für die neue Generation von Internetfirmen attraktiv war. Anfangs war es reiner Zufall, dass er über seine Vorfahren einen besonderen Bezug zu diesem Gebäude hatte, aber schon bald wurde er dadurch zum Bewahrer seiner Geschichte, von den Telefonisten, die ursprünglich die Flure bevölkerten, bis zu den gigantischen Glasfaserverteilern, die heute dieselbe Arbeit verrichten.
    Doch in den zehn Jahren, die die Rudins nun Besitzer der Avenue of the Americas Nr. 32 sind, hat sich das Gebäude ganz anders entwickelt als sein Schwestergebäude. In der Hudson Street Nr. 60 werden die Serverräume von Dutzenden Firmen gemietet und weitervermietet. In der Avenue of the Americas Nr. 32 dagegen betreiben die Rudins als Eigentümer des gesamten Gebäudes auch den für die Telekommunikation reservierten Bereich, der hier nur »Das Drehkreuz« genannt wird: »The Hub«. Anderswo im Gebäude haben ein Agenturbüro, Werbeagenturen und die Cambridge University Press ihre Zelte aufgeschlagen. Aber im 23. Stock ist das Internet zu Hause.
    Der dortige Meet-Me-Room war eher ein Schaltflur als ein Schaltraum, eine über 20 Meter lange, bis unter die Decke mit gelben Glasfaserkabeln vollgestopfte Reihe aus 64 Technikschränken mit Tausenden einzelner Verbindungen wie ein riesiger Webstuhl. Gilbert führte mich vorsichtig an einem Wartungstechniker vorbei, der hoch oben auf einer Leiter stand und neue Kabel durch die Leitungsschächte an der Decke fädelte – eine weit schwierigere Aufgabe als draußen auf der Straße. »Dies ist der moderne Marktplatz, auf dem Daten von Glasfaser zu Glasfaser und von Netz zu Netz weitergereicht werden«, sagte Gilbert, als präsentiere er mir das Marmorbad einer Wohnung in der Park Avenue. So gesehen unterschied sich das Gebäude gar nicht so sehr von Ashburn oder Palo Alto – abgesehen von der Tatsache, dass AT & T an diesem Ort ein halbes Jahrhundert lang Ferngespräche vermittelt hatte.
    Hatte Ashburn seine geographische Lage dem Zufall zu verdanken, so war bei diesem Gebäude das genaue Gegenteil der Fall – seine Lage war ein unumstößliches geographisches Faktum. Es stand auf einer hundert Jahre alten Telefoninfrastruktur, eingerahmt von Börsen und Eisenbahngleisen. Es war die für diesen Zweck nächstliegende Immobilie, das Scharnier zwischen der New Yorker Innenstadt und dem ersten Weg aus der Stadt – dem Holland-Tunnel nach New Jersey und weiter nach Westen. Und im Gegensatz zur bewussten Gleichförmigkeit der Equinix-Rechenzentren war es in der digitalen Welt von einzigartiger Gestalt, verschroben und geheimnisvoll. Es schien organisch gewachsen zu sein, wie von der Umgebung vorgegeben, das ursprüngliche Wurzelsystem von Leitungen im Lauf der Zeit durch immer neue ergänzend.
    Vor kurzem war «Azzurro HD « eingezogen, ein Unternehmen, das sich die unglaublichen Leitungskapazitäten des Gebäudes zunutze machte, um Fernsehsendern die elektronische Übertragung großer Videodateien zu ermöglichen und den langwierigen Postweg zu ersparen. Das kleine Büro der Firma war rund um die Uhr besetzt, und als wir kurz hallo sagten, saß der diensthabende Techniker vor seiner riesigen Wand aus Bildschirmen, die an ein Flugkontrollzentrum erinnerten, und schaute einen Film an: den Spionagethriller Die drei Tage des Condor von 1975. Und so standen wir alle in einem der großen Informationsknotenpunkte der Welt und sahen einen langen Augenblick Robert Redford dabei zu, wie er als CIA -Agent über den Innenhof zwischen den Türmen des World Trade Centers schlich.
    Wieder draußen, wo auf dem Flur die Schiebetür des Aufzugs hätte sein sollen, öffnete Gilbert eine Stahltür. Dahinter tat sich ein offener Schacht auf, über

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