Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Ausmaßen beschworen sie ein Bild aus Der große Gatsby herauf, von einer Weite, die der menschlichen »Fähigkeit zum Staunen wahrhaft angemessen erschien.« 45 Wenn wir mit derartigen geographischen Phänomenen konfrontiert sind, dann normalerweise in vertrauteren Bildern, wie dem eines Autobahnkreuzes, einer Eisenbahnstrecke oder einer erwartungsvoll am Gate stehenden Boeing 747. Doch Unterseekabel sind unsichtbar. Sie gleichen eher einem Fluss als einem Pfad, weil sie nicht nur ab und zu etwas transportieren, sondern einen kontinuierlichen Energiestrom befördern. Wenn auf der Suche nach dem Internet der erste Schritt darin bestand, eine Vorstellung vom Internet zu entwickeln, so waren Seekabel für mich von Anfang an seine magischsten Orte. Und das umso mehr, nachdem mir klar geworden war, dass ihr Verlauf oft uralten Routen folgte. Bis auf wenige Ausnahmen landen Seekabel in oder in der Nähe von traditionellen Hafenstädten an, Orten wie Lissabon, Marseille, Hongkong, Singapur, New York, Alexandria, Mumbai oder Mombasa. Im Alltag mag es uns so vorkommen, als habe das Internet unsere Wahrnehmung der Welt verändert. Aber an den Seekabeln zeigt sich, wie diese neue Geographie bis ins Detail der alten folgt.
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Bei allem Zauber, den Unterseekabel auf mich ausübten, – meine Suche nach ihnen begann in einem Gewerbegebiet im Süden von New Jersey. Das Gebäude war echtes Internetland: unauffällig, modern, direkt an einem Highway gelegen und abgesehen von einem Paketlieferanten scheinbar menschenleer. Es gehörte zu Tata Communications, der Telekommunikationsabteilung des indischen Mischkonzerns Tata, der im Lauf der letzten Jahre große Anstrengungen unternommen hat, sich als Betreiber eines globalen Internetbackbones zu etablieren. 2004 sicherte sich Tata für 130 Millionen Dollar das Tyco Global Network, das auf drei Kontinente verteilt etwa 60 000 Kilometer Glasfaserkabel umfasste, darunter wichtige Unterseekabel quer durch den Atlantik und den Pazifik. 46 Ein gigantisches System. Tyco war eigentlich weniger als Besitzer von Kabeln bekannt, sondern eher als Hersteller, doch die Gigantomanie unter Firmenchef Dennis Kozlowski – der 2005 wegen Untreue und Wertpapierbetrug zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde 47 – führte dazu, dass Tyco mehr als 2 Milliarden Dollar für den Aufbau eines eigenen globalen Netzes von ungeheuren Ausmaßen ausgab. Der Netzbaustein namens » TGN -Pacific« zum Beispiel besteht aus einer 22 000 Kilometer langen Schleife, die von Los Angeles nach Japan und zurück nach Oregon führt – einmal quer durch die Weiten des Pazifik und zurück. Es wurde 2002 in Betrieb genommen und enthält acht Glasfaserpaare, doppelt so viele wie die Kabel der Konkurrenz. Aus technischer Perspektive war das »Tyco Global Network« – das mittlerweile umgetauft wurde in »Tata Global Network« – großartig und beeindruckend. Aber in finanzieller Hinsicht war es ein einziges Desaster, das gerade rechtzeitig fertiggestellt wurde, um den Tiefpunkt der Technologiebranche 2003 zu erleben. Wie die in der Seekabelbranche tonangebenden Engländer gern sagen, sind die von ihnen verkauften Übertragungskapazitäten allzu oft »cheap as chips«: spottbillig.
Simon Cooper war der Engländer von Tata. Seine Aufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass sich die Investitionen der Firma auszahlen. Der Datenverkehr im Internet hat in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zugenommen, aber genauso schnell sind die Preise gefallen. Bei Tata will man diesen Trend umkehren, indem man sich auf Weltgegenden mit schlummerndem Potential konzentriert. Das Tata Global Network, so die Strategie, soll das Telekommunikationsnetz werden, das die ärmeren und weniger gut angebundenen Regionen der Welt versorgt, vor allem in Afrika und Südasien. Cooper verbringt seine Zeit hauptsächlich damit, sich Gedanken zu machen, welches Land er als nächstes ans Netz bringen könnte. Vor kurzem hat er ein ehrgeiziges Investitionsprogramm gestartet, um das von Tyco übernommene Netz durch noch mehr Kabel zu ergänzen – Kabel, die sich um den Globus schlängeln wie Lichterketten um einen Weihnachtsbaum.
In New Jersey wartete ich ein paar Minuten in der Teeküche und sah einer Gruppe indischer Techniker zu, die gerade Tee zubereiteten. Dann, kurz vor zehn Uhr, wurde ich in ein Besprechungszimmer geführt, das von drei riesigen Flachbildschirmen dominiert wurde, die gegenüber einem langen Tisch unmittelbar
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