Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
blaugrünen Augen wanderte über Benjamins Gesicht. Er ahnte, was sie gerade dachte:
Welche meiner Erinnerungen entstammen der Welt der Träume, welche spiegeln die Realität wider?
Auch Benjamin hatte geträumt. Konfuse, verwirrende Gedankenfetzen waren durch seine Gehirnwindungen gefegt. Er konnte sich an Schreie erinnern. An weiß vermummte Gestalten. An Unmengen von Schnee. Zumindest Letzteres entsprach den Tatsachen.
Benjamin griff nach Nataschas Hand. „Ich komme wieder, so schnell ich kann.“
„Gut.“ Sie lächelte schwach. „Pass auf dich auf. Und keine Heldentaten, verstanden?“
„Natürlich nicht. Ich werde vorsichtig sein.“
Ein unsicherer Schatten huschte über ihr Gesicht. „Weißt du, ich …“ Natascha zögerte und senkte den Blick. „Was hast du gestern zu mir gesagt?“
„Was ich …? Ah.“ Benjamins Miene hellte sich auf. Er drückte Natascha einen sanften Kuss auf die Stirn. „Ich habe gesagt, dass ich dich liebe.“
Natascha seufzte und schloss für einen Moment die Augen. „Gott sei Dank“, murmelte sie. „Ich habe schon befürchtet, es war alles nur ein Traum.“
Kitzbühel, Wohnung Gerbergasse
Sonntag, 7. Januar, 06:05 Uhr
Franz hob das linke Augenlid. Es war schwer wie Blei. Er hob das rechte; eine uranverstärkte Augenstahlklappe, die sich nicht von der Stelle bewegen wollte. Ächzend rollte er sich auf die Seite, griff nach dem Wecker und deaktivierte den Alarm.
Aufstehen
, dachte er.
Sein Körper regte sich nicht.
Aufstehen, du gottverfluchter Scheißorganismus!
Stöhnend gelangte er in eine sitzende Position, rieb sich mit fahrigen Bewegungen über das Gesicht. Die Nacht war die Hölle gewesen. Immer wieder war er hochgeschreckt, hatte geglaubt, verschlafen zu haben. Dazu Albträume ohne Ende. Er konnte sich erinnern, wie sich der gesamte Aufsichtsrat in gackernde Dämonen verwandelte, die ihm befahlen, nackt auf einem Nagelbett zu tanzen. Stefanie erschien ihm als Hexe, verwandelte ihn in einen Frosch und schlug ihn mit einem Tennisschläger wieder und wieder gegen eine Wand. In einem weiteren Traum rannte er um sein Leben. Rote Augen in der Finsternis. Ein tiefes, furchteinflößendes Grollen. Vielleicht ein Löwe, vielleicht eine namenlose Bestie aus Gestalt gewordener Angst. Franz war zu langsam. Das Untier rückte beständig näher. Dann ein bodenloser Abgrund vor ihm. Ein endloser Sturz. Das Schreien in seinen Ohren, als er schweißgebadet erwachte.
Daneben hatten ihn auch Schmerzen geplagt. Einerseits in der Schulter, die zwar nicht gebrochen schien, aber fortwährend Speere aus Pein Richtung Nacken und Oberkörper sandte. Andererseits waren die Schmerzen in seinem Schädel im Lauf der Nacht unerträglich geworden. Letztendlich war es einem Aspirin zu verdanken, dass er doch noch zwei, drei Stunden durchgehenden Schlaf fand.
Franz wusste nicht, ob er den heutigen Tag überleben würde. Er fühlte sich alles andere als erholt. Eine weitere Tablettendosis wie gestern konnte lebensbedrohlich sein. Dabei mochten die nächsten Stunden noch nervenaufreibender werden.
Wenn ich heute sterbe
, überlegte er,
was würde ich tun?
Nichts
, beantwortete er seine Frage.
Einfach weitermachen. Nicht aufgeben. Kämpfen. Bis zum Schluss
.
Kitzbühel, Hotel Goldener Hirsch
Sonntag, 7. Januar, 06:30 Uhr
„Einen wunderschönen guten Morgen! Auf, auf, Monsignore, es ist schon halb sieben.“
Bernhard stöhnte und zog die Bettdecke über den Kopf. „Noch zehn Minuten. Erbarmen!“
„Keine Chance“, erwiderte Anna. „In weniger als zwei Stunden geht die Sonne auf. Bis dahin will ich eine neue Spur haben.“
„Wir ha’m doch ’ne Spur“, näselte Bernhard und rieb sich die Augen.
„Nein, haben wir nicht“, widersprach Anna. „Wir überwachen ein möglicherweise relevantes Fahrzeug, das ist alles. Wir wissen nicht, wann der Verdächtige zurückkehrt. Wie können nicht einmal sagen, ob er sich überhaupt noch in Kitzbühel befindet. Eventuell hat er einen anderen Wagen genommen. Theoretisch könnte der Mörder auch in ein Flugzeug gestiegen sein. Vielleicht sitzt er längst an einem Strand in Argentinien und hält Ausschau nach seinem nächsten Opfer.“
„Schon gut, schon gut“, beschwichtige Bernhard und setzte sich auf. „Du hast ja recht. Wobei ich davon ausgehe, dass sich der Tatverdächtige in der Nähe aufhält.“
„Davon ausgehen ist nicht wissen.“
Bernhard warf Anna einen schrägen Blick zu. Gewöhnlich war sie nicht so schnippisch. Ob dies
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