Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
ein wenig betrüblich, dass ihre Odyssee bereits zu Ende gehen sollte. Er konnte nicht umhin, der Einzigartigkeit der vergangenen Stunden Tribut zu zollen. Bestimmt hätte ein weiterer Tag die Spannung und den Nervenkitzel auf neue Höhepunkte gejagt. Wahrscheinlich hätte sich eine weitere Gelegenheit ergeben; zwar nicht so unauffällig wie die letzte, aber gerade deshalb aufregend.
Allerdings gab es eine Entwicklung, die weniger erfreulich war. Offensichtlich wurde er gejagt. Es handelte sich nicht um einen Anfänger. Ohne Frage war es ein Profi. Die Unklarheit bestand darin, was er von ihm wollte. Gründe gab es genug, nicht alle mussten mit seinen mörderischen Eskapaden zusammenhängen. Es wurde Zeit, dass er diese Unklarheit beseitigte. Verständlicherweise wäre es vorteilhaft, wenn nachher die richtigen Personen aus dem Leben schieden.
Seilbahn GmbH Kitzbühel, Besprechungsraum
Sonntag, 7. Januar, 07:55 Uhr
„Der Bergewagen fährt soeben aus der Station“, erklang eine Stimme über Funk.
Die Gespräche im Besprechungsraum verstummten. Alle warteten auf die erlösende Nachricht, dass der Bergewagen erfolgreich an der Gondel angedockt habe und sich am Rückweg befinde.
Die Minuten strichen dahin, in quälender Langsamkeit, als würden sie von launischen Geistern durch morastige Schlammlöcher gezogen.
Ein Klicken in der Leitung. Ein zweites Funkgerät, das auf die Frequenz des Bergewagens eingestellt war, sprang an. Moritz meldete sich.
„Wir haben ein Problem.“
„Was?“ Franz Stimme war heiser und rau.
„Das Seil … wir können nicht weiterfahren.“
„Warum?“
„Überschlag. Auf halber Strecke zur Stütze ist ein Tragseil über das Zugseil gesprungen. Es schaut so aus, als … ja, hier fehlen Seilreiter. Mindestens zwei Stück.“
Frustriertes Stöhnen wanderte durch den Raum. Benjamin wusste, was ein Seilüberschlag bedeutete. Schon unter normalen Umständen war er schwer zu beheben. Berücksichtigte man die Witterung und das eingeklemmte Zugseil, mochte es ein Ding der Unmöglichkeit sein – zumindest ohne schwerem Gerät.
„Wie gravierend ist der Überschlag? Könntet ihr ihn durch ein Überfahren mit dem Bergewagen lösen?
„Unmöglich. Das Seil hängt mindestens einen Meter runter. Wenn wir weiterfahren, stürzen wir ab. Keine Chance. Wir müssen umkehren.“
Das Zittern von Franz’ Gliedmaßen verstärkte sich. Der Betriebschef ballte die Hände zu Fäusten. „Wir dürfen nicht …“ Er brach ab. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck unsäglicher Qual. Für einen Moment spürte Benjamin fast so etwas wie Mitleid.
„Gut“, murmelte Franz in das Funkgerät. „Fahrt zurück.“ Er ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Müde, kraftlos. „Irgendwer“, sagte Franz, „muss die Fahrgäste informieren, dass ihre Rettung länger dauert als geplant.“
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 08:05 Uhr
Jeder, der ein Mobiltelefon besaß, hatte es ans Ohr gepresst oder tippte an einer SMS. Emma war fasziniert, mit welcher Geschwindigkeit die Finger von Michelle und Sandra über den Touchscreen huschten. Sie selbst war schon froh, wenn sie die richtige Anwendung fand, um eine Kurzmitteilung zu senden. In Summe hatte sie in ihrem Leben kaum mehr als zehn SMS verschickt. Anrufe zog sie in jedem Fall vor. Daheim verwendete sie ausschließlich ihr geliebtes Schnurlostelefon, das über einen Festnetzanschluss verfügte. Zwar besaß sie auch ein altmodisches Wertkartenhandy, aber das lag meist achtlos in einer Lade – oder, so wie jetzt, auf der Kommode im Zimmer ihres Hotels.
Sie warf einen Blick nach draußen. Mittlerweile hatte das Tageslicht den letzten Rest der Finsternis zur Helligkeit bekehrt. Wenn Matteo recht hatte, und er hatte meistens recht, musste sich die Sonne gerade über die östlichen Berggipfel erheben. Freilich bekamen sie davon aufgrund der Wolken und des Schneefalls nichts mit, aber es war beruhigend zu wissen, dass die Nacht endgültig vorüber war.
Sebastians Mobiltelefon klingelte. Diesmal fand der Anruf keine Beachtung. Die übrigen Fahrgäste waren selbst in Konversationen mit Gesprächspartnern vertieft.
Emma beobachtete Sebastians Mienenspiel. Zuerst Verwirrung, danach Unverständnis und zuletzt Erschrecken. Das sah nicht gut aus.
„Alles herhören“, rief Sebastian und senkte sein Mobiltelefon. „Wir werden noch etwas warten müssen, bis wir hier herausgeholt werden.“
„Was? Das darf doch nicht
Weitere Kostenlose Bücher