Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
Geruchsextreme in anderen Dimensionen gewohnt. Doch nicht alle der Insassen kamen so gut damit klar. Martins Gesicht zeigte einen Anflug von Blutarmut, Sonjas Augen lagen verdächtig tief in den Höhlen und selbst der unempfindliche Rüdiger hatte seine Lippen fest zusammengepresst. Zu dem Gestank kamen die unangenehm tiefen Temperaturen. Einige der Fahrgäste rieben sich fröstelnd die Glieder, Martin hatte vorhin sogar Kniebeugen absolviert. Emma hoffte inständig, dass keiner der Passagiere Erfrierungen davontrug und sich auch niemand mehr übergeben musste.
Völlig unbeeindruckt schien nur eine Person zu sein: Henrik. Er lungerte unbeteiligt auf seinem Sitz und würdigte die Anwesenden weiterhin keines Blickes. Aus seinem Verhalten folgerte Emma, dass der Rothaarige entweder ein kaum zu erschütterndes Gemüt besaß – was sie irgendwie nicht glauben konnte – oder ihn der üble Geruch nicht störte. Das mochte bedeuten, dass Henrik häufiger mit buttersäureartigen Ausdünstungen zu tun hatte. Allerdings konnte sich Emma nicht vorstellen, dass der Mann mit seiner unangenehm knarzenden Stimme und den zittrigen Händen in einem Gesundheitsberuf beschäftigt war. Nur welche Tätigkeit brachte sonst einen engen Kontakt zu unerfreulichen Körperausscheidungen?
Emma ahnte, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.
München, Innenstadt, Café Glockenspiel
Samstag, 6. Januar, 13:55 Uhr
„Wie bitte?“ Bernhard verschüttete ein paar Spritzer seines Tees, als er Anna einen hektischen Wink gab. „Wiederholen Sie das.“
„Das von Ihnen gesuchte Fahrzeug befindet sich in Tirol, genauer gesagt in Kitzbühel.“ Die Stimme des Anrufers klang blechern und abgehackt, wahrscheinlich ein Resultat des nach wie vor tobenden Sturms. „Der Fahrer des Wagens, ein gewisser Hermann Ragendorf, wurde Donnerstagmittag auf der A12 bei Kufstein aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten und kontrolliert. Eine Verkehrsstreife konnte denselben Wagen vor etwa einer Viertelstunde in der Kitzbüheler Innenstadt ausfindig machen. Noch können wir nichts über den Verbleib des Fahrers sagen.“
„Gut. Bitte lassen Sie das Fahrzeug überwachen. Der Besitzer ist mutmaßlicher Gewaltverbrecher und möglicherweise bewaffnet, seien Sie also entsprechend vorsichtig. Können Sie mir eine Anfahrtsbeschreibung und den Kontakt zu den Beamten durchgeben?“
Anna setzte sich gegenüber von Bernhard an den Tisch und musterte interessiert die Aufzeichnungen, die ihr Partner auf seinen Notizblock kritzelte.
„Der Wagen ist aufgetaucht“, sagte Bernhard, als er das Mobiltelefon in seine Hemdtasche gleiten ließ. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir solches Glück haben.“
„Ich würde sagen, es ist Schicksal“, meinte Anna. „Seine Zeit ist abgelaufen.“
Bernhard registrierte das Funkeln in Annas Augen; den Abscheu und Hass, die darin lauerten. So sehr er den Mörder selbst hinter Gitter stecken wollte, war er von Annas Reaktion ein wenig beunruhigt. Sie nahm die Angelegenheit zu persönlich, ließ die Tat näher an sich heran, als es gut war. Wenigstens für objektive Ermittlungen; aber vermutlich auch für die eigene Psyche.
Bernhard deutete auf den nicht angetasteten Teller Spaghetti am Tisch. „Während du auf der Toilette warst, ist dein Essen gekommen. Lass dir ruhig Zeit, ich werde inzwischen …“
„Ich habe keinen Hunger mehr“, unterbrach ihn Anna und erhob sich. „Auf nach Kitzbühel.“
Seilbahn GmbH Kitzbühel, Besprechungsraum
Samstag, 6. Januar, 14:00 Uhr
Der Konferenzraum war voll, um nicht zu sagen, überfüllt. Sämtliche Sitzplätze waren belegt. Einige Personen mussten stehen, andere lehnten mit verschränkten Armen an der Wand. Franz hatte sich wie üblich an das Kopfende des Tisches gesetzt. Benjamin konnte nicht sagen, was sich verändert hatte, aber der Betriebsleiter wirkte gesünder und vitaler als noch vor einer Stunde.
Unter den Anwesenden fand sich alles, was Rang und Namen hatte. Wilhelm war mit zwei Bergrettern erschienen. Philipp, der leitende Alpinpolizist, hatte ebenfalls zwei Kollegen mitgebracht. Georg, Maria und der bärtige Meteorologe aus Innsbruck waren ebenso unter den Zuhörern zu finden wie eine Abordnung der örtlichen Feuerwehr samt Bezirksfeuerwehrkommandanten. Dazu kamen die Kitzbüheler Bürgermeisterin, zwei Gemeinderäte und ein Vertreter der Seilbahnfirma, welche die 3S-Bahn errichtet hatte. Selbst der stellvertretende Landeshauptmann hatte sich
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