Käfersterben
ja!«, sagte Toms Vater.
»Ich wollte mich erkundigen, wie es Ihrer Frau geht.«
»Sie ist jetzt bei Bewusstsein«, sagte er. »Aber ob das eine Besserung ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Sie kann immer noch nicht sprechen, und ihre ganze rechte Seite ist gelähmt. Nichts hat sich getan seit Freitag früh. Immerhin kann sie jetzt essen. Mit der linken Hand.«
Katinka fuhr mit dem Finger die Kanten all ihrer Schmierzettel entlang, die vor ihr auf dem Tisch lagen.
»Es tut mir leid. Wenn ich etwas tun kann …«
Toms Vater schien diesen Vorschlag als seltsam zu empfinden. Er druckste herum, dann sagte er:
»Man kann nichts machen. Jetzt noch nicht. Die Ärzte empfehlen uns, einen Rehaplatz für sie zu suchen, in einer Spezialklinik. Sie wird nicht nach Hause kommen können. Wir wohnen im dritten Stock, ohne Fahrstuhl. Ich müsste sie hinauf- und hinuntertragen. Wie soll das gehen.«
»Ist Tom jetzt bei ihr?«
»Ja, der Junge ist in der Klinik.«
Der Junge, dachte Katinka. Der 32-jährige Junge.
Sie verabschiedete sich und legte das Telefon weg.
Sie ging ein wenig hin und her. Bis zu ihrer Verabredung mit Britta hatte sie noch eine Menge Zeit. Es würde für das Samurai-Studio reichen und für einen zweiten Besuch in Holzhof. Der Gedanke an Janas Hysterie gefiel ihr gar nicht und noch weniger die Vorstellung, die junge Frau wieder in die Mangel zu nehmen, diesmal allerdings ohne locker zu lassen.
Katinka setzte sich ins Auto und fuhr zum Berliner Ring. Der Motor würgte und hustete, sobald sie im Leerlauf an roten Ampeln stand. Es würde nicht mehr lange dauern, und das Vehikel hätte seine aktiven Zeiten hinter sich. Ich könnte es Booz für eine Installation überlassen, dachte sie.
Das Samurai-Studio war vormittags offiziell noch nicht geöffnet, aber ein junger Mann mit langen, zu einem Zopf gefassten Haaren öffnete ihr die schwere Eisentür. Darauf klebte der gleiche Aufkleber, den sie auf Hansi Schmidts Auto gesehen hatte. Nur einige Nummern größer.
»Training erst ab 14 Uhr«, versuchte er Katinka abzuwimmeln.
»Ich brauche nur ein paar Informationen«, sagte sie schnell. »Sind Sie der Chef?«
»Mir gehört das Studio«, sagte er stolz. »Toni Utzmann. Wenn Sie an einem Einführungskurs teilnehmen wollen, ich beginne erst wieder nach den Sommerferien.«
»Was sind das eigentlich für Kampftechniken? Was kann ich hier lernen?«
»Jiu Jitsu, Judo, Karate.«
»Und was ist das mit den Schwertern?«
»Sie interessieren sich für Kendo?«
»Genau.«
Utzmann sah Katinka zweifelnd an.
»Was wollen Sie eigentlich wirklich?«
Katinka zückte ihren Ausweis. »Ich bin Privatdetektivin. Es geht um die ermordeten VWs der letzten Woche.«
»Ach so!« Utzmann lachte erleichtert. »Sagen Sie’s doch gleich. Also, mit den Kendo-Schwertern kriegen Sie kein Dach durch. Die sind aus Bambus.«
Er führte Katinka in den mit weißen, quadratischen Matten ausgelegten Trainingsraum. An der Wand befand sich eine Art Garderobe.
»Hier. Das tragen die Kämpfer als Schutz, wie eine Rüstung: Gesichtsmaske, Brustplatte, Panzerhandschuhe und Schurz. Darunter hat man einen geschlitzten Rock an.« Er zog einen von einem Bügel und hielt ihn Katinka an. »Würde Ihnen schon stehen.«
Sie grinste.
»Ich überlege es mir. Wie geht denn so ein Kendo-Kampf?«
»Das ist eine komplexe Sache. Die Art der Schläge ist genau festgelegt. Ein Kampf dauert drei bis fünf Minuten. Das Training ist ziemlich hart. Da wird nicht nur der Körper einer strengen Disziplin unterworfen, sondern auch der Geist.«
»Was denken Sie eigentlich über diese Samuraischwerter, die in den Käfern steckten?«, fragte Ka-tinka. »Sie haben sicher davon in der Zeitung gelesen, oder?«
Utzmann zuckte die Schultern.
»Ich besitze kein Samuraischwert. Aber ich weiß, dass es eingeschworene Fans gibt, die sich von dem Ehrenkodex der Samurai angezogen fühlen und irgendwas nachahmen, was ihnen als japanische Tradition erscheint. Ein buntes Mischmasch aus Esoterik und Rittertum.«
Katinka hörte an seinem Tonfall, dass er Mischungen ablehnte.
»Solche Typen trainieren aber nicht bei Ihnen? Immerhin nennt sich Ihr Laden ›Samurai-Studio‹!«
»Was meine Schüler in ihrer Freizeit treiben, weiß ich nicht«, sagte Utzmann. Es klang ein bisschen entnervt. »Aber ich versichere Ihnen, dass das, was wir hier beim Training und vorher und nachher tun, nichts mit Schwertern in Autodächern zu tun hat. Asiatische Kampftechniken werden nicht um der
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