Käfersterben
weg von Booz. Legte die Waffe neben sich ins Gras.
»Kommt die Polizei?«
»Ja. Das Erste, was die tun, ist Sie zu fragen, was Sie hier wollten.«
»Ach«, spöttelte Booz. »Und Sie, Katinka Palfy, dürfen neben Leichen stehen beziehungsweise über ihnen, oder wie sehe ich das?«
Katinka beruhigte sich. Sie drückte sich soweit es ging in den Windschatten. Hier war es wenigstens ein bisschen wärmer als mitten auf dem Plateau. Sie fragte sich, ob Booz schon bemerkt hatte, dass seine Festplatte fehlte. Ob er jetzt, da er von ihrem wirklichen Beruf wusste, eins und eins addieren und diesen eventuellen Zusammenhang der Polizei stecken würde. Sie entschied sich, dass das im Augenblick nicht zählte. So unheimlich Booz ihr war, so dankbar fühlte sie sich, gerade jetzt nicht alleine zu sein.
»Sind Sie religiös?«, fragte Booz unvermittelt.
»Äh … ich weiß nicht«, begann Katinka.
»Vielleicht hilft uns die Heilige Adelgundis«, sagte Booz ernsthaft. »Ich meine, ich bin Protestant und sowieso nur auf dem Papier. Aber ich habe gelesen, dass es den Schweden im Dreißigjährigen Krieg nicht gelungen ist, diese Kapelle hier oben auszurauben. Adelgundis persönlich erschien im schwarzen Gewand und schlug die Kerle in die Luft.«
Katinka griff nach der Waffe. Sie wusste nicht, warum, nur ein Gefühl.
Booz hob die Handflächen.
»Legen Sie doch diese Pistole weg«, brummte er.
Katinkas Handy klingelte.
»Palfy«, sagte Hardo. »Wir sind unterwegs. Wo genau stecken Sie?«
»Ich sitze mit Booz bei der Adelgundiskapelle. Am Eingang an der Querseite.«
»Gut. Geben Sie uns noch zehn Minuten.«
Er hatte das Gespräch schon beendet.
Booz schwieg, während sie warteten. Als sie die Polizeiwagen hörten, standen sie auf. Katinka sicherte die Waffe und steckte sie ins Holster. Sie gingen um die Kapelle herum. Gleißende Scheinwerfer blendeten sie. Katinka blieb stehen. Booz legte den Arm um sie. Sie schüttelte ihn ab.
»Lassen Sie den Scheiß«, zischte sie ihn an.
Während die Beamten auf sie zukamen, packte der Schwindel Katinka und wirbelte sie herum. Sie setzte sich auf den Boden und schloss die Augen.
»Palfy?«
»Ja.«
»Alles in Ordnung, Palfy?«
Er half ihr hoch.
»Schon o.k. Mir war nur schwindelig.«
Katinka war so froh, Hardo zu sehen, dass sie ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre. Sein Gesichtsausdruck allerdings sah nicht besonders liebenswürdig aus. Seine grauen Augen blickten noch eisiger als sonst. Ein harter Zug spielte um seinen Mund.
»Wo ist die Tote?«
Katinka ging ihm voran. Booz waren Handschellen angelegt worden. Sie fühlte seinen vorwurfsvollen Blick, während sie Hardo und seine Leute über das Plateau zu der Stelle führte, wo die Fahne wehte. Hardo packte sie am Ellenbogen, als wollte er sie abführen. Katinka sah Fleischmann und seine Techniker und einige andere Männer mit schwerer Ausrüstung hinter ihnen herlaufen. Auf ihren Anoraks stand ›Bergwacht‹.
»Sie liegt ziemlich tief. Ich bin nicht an sie herangekommen, aber ich bin mir sicher, dass sie tot ist.«
Hardo sagte nichts. Sie kamen zum westlichen Rand.
»Hier, auf dem Felsen links unterhalb der Flagge.«
»Sie bleiben hier », sagte Hardo. Katinka wollte widersprechen, aber sein zorniger Blick hielt sie davon ab.
Fleischmann und seine Leute traten an den Felsabbruch. Der Wind pfiff eiskalt über das Plateau. Sie stand schutzlos da und beobachtete die Polizisten. Die Männer packten Seile und allerlei Gerät aus. Hardo blieb sehr lange bei ihnen stehen. Sie diskutierten, schließlich versuchten sie es mit einer Drehleiter.
Er ist beschissen wütend, dachte Katinka verzweifelt. Selbstkritisch gestand sie sich ein, seinen Urlaub versaut zu haben. Sie kuschelte sich fester in ihre Jacke. Ihre Zähne schlugen so heftig aufeinander, dass sie Angst hatte, sie würden abbrechen. Um warm zu werden, hätte sie sich bewegen müssen, aber sie fühlte sich außerstande, irgendetwas zu tun. Ihre Kräfte waren aufgebraucht. Während sie da stand und zu den Polizisten hinüberblickte, kreisten ihre Gedanken um Booz. Sie fragte sich wieder und wieder, was nun mit ihm werden würde und warum er eigentlich hier oben war. Ob er Dani umgebracht hatte. Sie glaubte es nicht, ohne begründen zu können, warum. Aber seine Anwesenheit hier oben machte ihn verdächtig. Und seine Weigerung, sich zu erklären, noch sehr viel mehr. Selbst, wenn er nicht der Mörder war, dann wusste er womöglich etwas, und der Polizei wäre es
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