Käfersterben
mit Sicherheit mehr als recht, wenn er es erzählte, und zwar möglichst bald.
Es dauerte mindestens eine halbe Stunde, bis Hardo zurückkam. Er ging schweigend an Katinka vorbei. Sie folgte ihm in einigem Abstand.
»Hardo!«, rief sie. Er drehte sich um und sagte unwillig:
»Sie warten. Ich rede mit Booz.«
Katinka prallte zurück. Sie wollte etwas sagen, aber Hardo stieg schon in den Polizeibus, wo man Booz abgesetzt hatte. Die Beamten hatten das ganze Plateau abgesperrt. Rot-weiße Plastikbänder flatterten im Wind, kräftige Scheinwerfer leuchteten den Zufahrtsweg aus. Zwei Techniker waren dabei, nach Reifenspuren zu suchen.
»Hallo, Frau Palfy.«
Katinka sah sich um. Polizeimeisterin Sabine Kerschensteiner stand hinter ihr.
»Frau Kerschensteiner! Bin ich froh, Sie zu sehen!«
Katinka schoss die Röte ins Gesicht. Sabines warme Stimme und die Freundlichkeit, mit der sie Katinka grüßte, standen in scharfem Kontrast zu Hardos ruppiger Unnahbarkeit. Ohne dass sie es wollte, erzählte Katinka der Polizistin von A bis Z den ganzen Tag, angefangen von dem Fax im Ausgabekasten ohne Datum oder Kennung bis zu ihrem Aufstieg durch den Wald, dem Anblick von Danis Leiche auf dem Felsen und ihrer Unfähigkeit, sich zu rühren. Als sie berichtete, wie Booz sie gepackt und vom Abgrund weggeführt hatte, kitzelten Tränen in ihren Augenwinkeln. Sabine Kerschensteiner legte die Hand auf Katinkas Schulter.
»Sie frieren«, sagte sie. »Setzen Sie sich in einen Streifenwagen. Wir schalten die Heizung an. Kommen Sie, Sie sollten hier nicht herumstehen.«
Katinka folgte ihr wie ein Schaf. Sabine Kerschensteiner setzte sich neben sie auf die Rückbank. Der laufende Motor und die Wärme lullten Katinka ein.
»Wie hat Hardo es geschafft, seine Faltenrockkollegin aus dem Rennen zu werfen?«, fragte sie.
Sabine lachte leise.
»Bei allem, was mit Ihnen zu tun hat, ist unverzüglich der Chef auf den Plan zu rufen.«
Katinka schüttelte sich.
»Er ist stocksauer!«
»Er macht sich Sorgen. Das ist der Grund. Beunruhigen Sie sich nicht deswegen, Frau Palfy.«
Sabine Kerschensteiner stieg aus. Katinka beobachtete, wie Leute hin und her liefen. Es wurde geredet und telefoniert. Sie nickte ein. Grauer Nebel dämpfte die Geräusche und Stimmen um sie herum.
Ihr Name wurde gerufen.
»Palfy, kommen Sie raus da.«
Sein harscher Ton rüttelte an dem Zelt aus Schlaf, in das sie sich verkrochen hatte. Er riss die Autotür auf. Katinka rieb sich die Augen und rückte die Brille gerade. Sie krabbelte hinaus. Nach der Wärme im Wagen und dem Schlummer, der noch in ihren Gliedern steckte, traf sie der scharfe Wind wie ein Kolbenschlag.
»Kommen Sie mit«, befahl Hardo und stapfte ihr voran über das Plateau. Sie folgte ihm, schlotternd in der Kälte. Der Wind kam nun direkt von Nordwesten und brachte Regenwolken mit. Hardo leuchtete mit einer starken Taschenlampe. Bei den Felsen blieb er stehen. Der Lichtkegel streifte die rot-weiße Fahne.
»Kommen Sie. Kommen Sie näher!«, drängte er.
»Ich kann nicht«, flüsterte Katinka.
»Sie sind doch sonst nicht so zögerlich.« Er packte ihren Arm und zog sie an den Abbruch.
»Nein, nicht!«, schrie Katinka.
Hardo hielt sie an beiden Schultern fest. Er könnte sie jede Sekunde in den Abgrund stoßen. Die Spitzen ihrer Schuhe ragten über den Rand des Felsens hinaus. Man hatte Danis Leiche fortgebracht. Wie ein drohender Zeigefinger deutete der Felsen, auf dem sie gelegen hatte, zu ihr hinauf. Zeigte auf sie, garstig und abscheulich.
»Lassen Sie mich los!«, schrie sie. Sie wollte es nicht glauben. In ihrer Angst fühlte sie die Schwärze auf sich zurasen.
»Ich warte auf Ihre Geschichte«, sagte er hart. »Jetzt, hier und sofort. Und alles.«
Katinka war so schwindelig, dass sie sich beinahe übergeben musste.
»Lassen Sie mich!«, sagte sie ruhiger.
Er führte sie ein Stück weg und ließ sie los. Sie hockte sich auf den Fels. Schlang die Arme um die Knie und erzählte alles noch einmal. Langsamer, bedächtiger, als sie es vorhin Sabine Kerschensteiner berichtet hatte. Die Stelle, als Booz sie von dem Abgrund weggeführt hatte, ließ sie aus.
»Und wie kamen Sie zu Booz?«, wollte Hardo wissen. Er stand drohend über ihr, wie ein Turm.
»Dani erzählte mir, dass sich in Holzhof eine Künstlergruppe eingemietet hat. Sie sagte es im Zusammenhang damit, dass Oberfranken wohl zurzeit eine eigenartige Anziehungskraft auf kreative Menschen ausübt.«
Katinka fügte Janas
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