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Käfersterben

Käfersterben

Titel: Käfersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schmöe
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Handy. Sie nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit den Rufton zu ändern. Beduselt von der Sonne stürmte sie ins Atelier und rumpelte gegen einen Holzklotz. Der rutschte weg, und Katinka fiel der Länge nach hin. Unsanft landete sie auf dem Ellenbogen und tastete mit der anderen Hand nach dem Telefon.
    »Palfy?«
    »Kati!«
    »Papa, wo bist du denn?«
    »Ich wollte mich wie versprochen bei dir melden.«
    Pharisäer, dachte Katinka. Du weißt genau, dass du die Frist überzogen hast.
    »Ich muss leider unerwartet verreisen. Wir bauen in Havanna einen neuen Club. Irgendwas läuft nicht, wie es soll. Man braucht mich.«
    »Wo bist du jetzt?«
    »Am Flughafen.«
    Sie glaubte ihm kein Wort.
    »Sag mir, wovor Dani sich fürchtete.«
    »Ich melde mich wieder.«
    »Ich finde es auch alleine raus«, schrie sie ins Telefon.
    Tut-tut-tut, kam es zurück.
    Katinka besah sich ihren Ellenbogen. Ein paar Abschürfungen, nichts Dramatisches. Seufzend kippte sie ein Fenster, um die warme Luft hereinzulassen. Ihr Selbstmitleid galt eher der Verwirrung in ihrem Herzen als dem brennenden Schmerz am Arm. Plötzlich war ihr altes, fast vergessenes Leben in Gestalt ihres Vaters herangebraust und vermischte sich mit dem Dasein, das sie sich in den vergangenen Jahren selbst ausgesucht hatte. Vor allem mit ihrem Beruf. Die daraus entstehende Mischung erwies sich als hochexplosiv. Katinka klopfte sich den Staub von den Kleidern und wollte den Holzklotz wieder zurechtschieben. Ihr Blick fiel auf den Atelierboden.
    Die Bodenklappe war sorgsam angebracht worden, mit zwei unauffälligen Scharnieren am oberen Ende, beinahe unsichtbar. Katinka brauchte nur wenige Minuten, um den Griff zu finden, mit dem sie die Falltür aufziehen konnte.
    Der Keller lag tief unter ihr. Der Lichtkegel ihrer Taschenlampe wanderte durch einen Raum, mindestens so groß wie das Atelier, ausgestattet mit Schränken und Regalen, und brach sich an ordentlich angeordneten und mit Segeltuch geschützten Plastiken.
    Hinter der Falltür baumelte eine Strickleiter. Beherzt griff Katinka zu und kletterte hinab in Danis Unterwelt.
     
    Du verstehst es, sorgsam mit brüchigem Material umzugehen.
    Du beugst dich über Fetzen. Was zerschlissen ist, zieht dich an. Was tot ist, begeistert dich. In Zerstörung sehen deine Augen Schönheit. Winter ist deine bevorzugte Jahreszeit. Wenn Menschen sich hassen, ist deine Leidenschaft geweckt. Trennungen und Abschiede sind deine Inspiration. Ich bin zerbrochen, aber deine Kameras zoomen auf andere Objekte.
     

16. Gwendolyn
    Katinka kam sich vor wie ein Matrose am Fallreep, als sie schwankend auf dem Boden aufkam. Andächtig ging sie den Raum unter Danis Atelier ab. Das alte Haus war wohl tatsächlich nur an dieser Stelle unterkellert. Sie fand keine weiteren Türen. In der dämmrigen Stille hier unten wirkten die abgestellten Skulpturen so majestätisch wie die berühmte chinesische Terrakotta-Armee. Katinka ging zwischen den Plastiken entlang, berührte hier und da ein Stück von dem Segeltuch und hob ein paar Planen an, um einen Blick auf die Kunstwerke zu erhaschen.
    Das hier war Kunst. Wirkliche und wahrhaftige Kunst. Keine überdrehten Versuche, Aufsehen zu erregen. Im Gegenteil: Mensch wurde zu Natur und Natur zu Mensch. Die Formen verwuchsen ineinander, als wären sie schon immer nur zu diesem Zweck dagewesen, hätten auf die Bildhauerin Daniela Zanini gewartet, um zur Vollendung zu kommen.
    »Mensch – Kontur – Natur«, murmelte Katinka. Danis Motto für die geplante Ausstellung. Sie hatte schon eine Menge Exponate zusammen. Das mochte das Spezialschloss und die Panzerglasfenster erklären. Jemand war ihr auf den Fersen, um ihre Skulpturen zu rauben. Oder um die Idee zu rauben, fügte Katinka in Gedanken an.
    Sie schauderte. Es war kalt im Keller. Beim Gedanken an all die Schönheit hier unten und die blutige Brutalität des Todes da draußen kamen ihr die Tränen. In ihren Gedanken brachen sich Danis Schöpferkraft und Originalität und der Jargon der Rechtsmediziner. Die Eleganz der Figuren in diesem Keller und der bohrende Schmerz in ihrem Herzen. Sie blieb lange stehen, fröstelnd in der Kühle, streichelte mit den Händen über die Steine. Die Trauer um Dani begann sich zu verwurzeln, an diesem Ort, wo so viel von ihrer geistigen Energie zusammengetragen war. Katinka spürte die Tränen in ihren Augen kitzeln. Sie ging an den Regalen entlang: Bücher über Kunst, Lexika, Bildbände, Romane. Ein lautes Piepen katapultierte

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