Käfersterben
von seiner Wohnung. Sie hat die Kennung unterdrückt. Dann kam sie zurück nach Deutschland.
Katinka dachte eine Weile nach und schob die Fakten wie Memorykärtchen in ihrem Kopf hin und her. Unvermittelt sprang sie auf und zog sich in aller Hast an. Sie schnappte sich den Schlüssel zu Danis Haus, kontrollierte ihre Waffe, griff nach ihrem Rucksack und verließ die Wohnung.
Auf der Fahrt zu Danis Sommerhaus rief sie Britta an. Immerhin gab der Anrufbeantworter ein Lebenszeichen.
»Britta, Dani ist ermordet worden. Ruf mal zurück.«
Sie peitschte den jaulenden Fiesta mit 140 über die Autobahn, nahm die Ausfahrt Forchheim Süd und verfuhr sich in Gosberg. Als sie endlich auf der richtigen Strecke war, brauchte sie keine halbe Stunde mehr, um das Haus zu erreichen. Die Sonne strahlte vom Himmel und übergoss das neu gedeckte Dach mit Bronze. Der Garten leuchtete wie ein Farbkasten. Katinka fragte sich, ob es hier jemanden gab, der nach den Pflanzen sah, doch als sie um das Haus herumging, bemerkte sie, wie an vielen Blumen welke Blütenblätter trauerten. Unkraut drängte zwischen den Beeten ans Licht und spross auf den Wegen. Eine Menge Blätter waren abgefressen, nur noch Stengel standen steil in die Höhe. Schnecken hatten hier ihr kulinarisches Eldorado gefunden.
Sie zog die Pistole, patrouillierte einmal ums Haus und schloss dann die Eingangstür auf. In wenigen Minuten hatte sie alles durchsucht. Nichts war verändert. Die gleiche Menge Joghurtbecher im Kühlschrank, Bananen, die sich trotz Kühlung allmählich kompostierten, der Zettel hinter dem Keilrahmen im Schlafzimmer. Es ist ein Loch im Jahr . Die Werkzeuge im Atelier ruhten unter einer allmählich dicker werdenden, flockigen Staubschicht.
Ganz still wartete Katinka ab. Im Haus ihrer toten Freundin zu stehen, verwirbelte ihre Gefühle. Sie ahnte wieder die Kopfschmerzen herankriechen. Hielt den Atem an. Versuchte, das Denken abzuschalten und sich ganz aufs Fühlen zu verlegen. Schickte die Intuitionen im Atelier umher, in dem Raum, der noch mit Danis Kreativität aufgeladen sein musste. Katinka schloss die Augen und lauschte. Stellte sich vor, wie Dani hier klopfte, schliff, raspelte, vor Enttäuschung fluchte und vor Zufriedenheit jubelte. Ganz sachte fuhr ihr Finger über die Werkbank. Das Holz fühlte sich rau an, uneben und abgenutzt. Katinka roch das Metall der Werkzeuge und Maschinen. Sie hörte all die fertigen und halbfertigen Skulpturen raunen und flüstern, düstere Geschichten zischelten in ihren Ohren. In diesem Haus gab es noch etwas. Etwas Persönliches. Unaustauschbares.
Katinka steckte die Waffe ins Holster zurück und überlegte. Wenn es irgendwo einen Hinweis auf jene Bedrohung geben sollte, vor der Dani geflüchtet war, dann hier. Wo sonst. Katinka sah auf die Uhr. Anderthalb Stunden waren seit dem Telefonat mit ihrem Vater vergangen. Er hatte nicht zurückgerufen.
Sie zauderte kurz. Es durfte nicht sein, dass sie Konsequenzen in Aussicht stellte und dann selbst vor ihnen zurückschreckte.
»Uttenreuther«, knurrte er ins Telefon.
»Katinka Palfy.«
Er klang sofort alarmiert.
»Was ist los?«
»Keine Panik. Ich bin nicht 24 Stunden am Stück in Lebensgefahr.«
Er lachte kurz.
»Bei Ihnen weiß man nie. Also?«
Katinka berichtete ihm von dem Telefonat mit ihrem Vater. Von ihrer Vermutung, dass Dani bei ihm Zuflucht gesucht hatte, und dass er es weder abstritt noch bestätigte.
»Mein Vater weiß, wovor Dani geflohen ist«, sagte sie. »Und glauben Sie mir, ich fühle mich ziemlich elend, Ihnen das alles brühwarm zu erzählen. Aber mir sagt er nichts. Außer, dass er Dani an Rosenstock verwiesen hat. Selbst das musste ich ihm aus der Nase ziehen.«
»Verstehe. Eigentlich müsste ich erst Kontakt mit einem unserer Verbindungsbeamten aufnehmen. Ich versuche, die Angelegenheit möglichst niedrig zu halten. Wenn Ihr Vater kooperiert, lässt sich das ohne Schwierigkeiten hinkriegen.«
»Verbindungsbeamter? Weil Wien im Ausland ist?«
»Genau. Aber manchmal kommt man auch anders weiter.«
Sie diktierte Hardo die Telefonnummer und bat ihn, ihr Bescheid zu geben, sobald er etwas in Erfahrung brachte. Als das Gespräch beendet war, hallte die Stille in ihren Ohren. Sie streunte durch das Atelier und stellte all ihre Sinne auf Empfang. Mit Hardo hatte sie das ganze Haus abgesucht. Dennoch war ihnen etwas durch die Finger geflutscht. In den Räumen, in denen sie gegraben hatten, war definitiv nichts. Also gab es irgendwo noch
Weitere Kostenlose Bücher