Käfersterben
einen anderen Raum.
Katinka legte sich auf den Rücken und suchte die Decke ab. Unter dem Dach war Stauraum. Beinahe sofort entdeckte sie die Klappe, die auf den Dachboden führte. Sie sah sich nach etwas zum Öffnen um. In einer Ecke lehnte eine lange Stange mit Haken.
»Na, perfekt«, murmelte Katinka und balancierte die schwere Stange über ihrem Kopf. Sie erwischte die Öse und zog. Sie brauchte all ihre Kraft, um die Klappe in ihren Scharnieren zu bewegen. Eine Menge Dreck rieselte herunter. Hustend wedelte Katinka den Staub weg. Federn kamen ihr entgegen, ein Vogelskelett segelte knapp an ihrem Kopf vorbei. Angewidert fuhr sie die Leiter aus und stieg hinauf.
Der Dachboden war leer, abgesehen von toten Vögeln und Spinnweben. Ein paar verirrte Fliegen summten durch die stickige, staubige Luft. Die Zentimeter dicke Staubschicht lag unberührt vor ihr. Hier war seit Menschengedenken niemand mehr eingedrungen.
»Fehlanzeige«, murmelte Katinka. Ihr Handy schrillte.
Katinka klammerte sich an der obersten Sprosse fest und tastete nach dem Telefon.
»Palfy?«
»Uttenreuther hier. Katinka, Ihr Vater ist auf dem Weg nach Kuba.«
»Wohin? Huch!« Sie rutschte eine Sprosse tiefer, stieß sich den Kopf an der Leiter und klammerte sich erschrocken fest. »Nach Kuba? Zu Fidel Castro?«
»Was machen Sie da eigentlich?«
»Fenster putzen«, log Katinka. »Wieso Kuba? Wer behauptet sowas? Ich habe vor knapp zwei Stunden mit ihm telefoniert, seine Sekretärin kann das bestätigen, sie hat mich durchgestellt. Außerdem kam sie während unseres Telefonates dazwischen, weil mein Vater etwas unterschreiben sollte.«
»Das mag ja alles sein, aber er ist dennoch auf dem Weg nach Kuba. Seine Sekretärin faselte was von einem Club, den er dort baut.«
»So ein Quatsch!«
»In sechzig Minuten startet seine Maschine in Wien Schwechat mit Ziel Amsterdam. Von dort fliegt er mit KLM nach Havanna.« Hardo nannte die genauen Flugzeiten und Flugnummern. »Wir haben das schon überprüft. Die Verbindung ist völlig real. Keine Fantasie.«
»Hardo, das kann einfach nicht sein.«
»Sie können sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass er auf der Flucht ist, meinen Sie das?«
Katinka schwieg. Sie konnte sich das alles nicht erklären. Schwierig genug, ihren Verstand von dem Gedanken zu überzeugen, dass ihr Vater ein Verhältnis mit Dani gehabt hatte. Sie wollte den Gedanken nicht weiterspinnen, dass er sie umgebracht haben könnte und nun vor der deutschen Polizei davonlief. Sollte er tatsächlich von Wien zum Staffelberg gefahren sein, um Dani mit einem Schwert zu durchbohren, und dann wieder zurück nach Wien gerast sein, um pünktlich im Büro zu sitzen? Bei wenig Verkehr und einem schnellen Wagen brauchte man in eine Richtung mindestens fünf Stunden. Sie musste zugeben, dass er es geschafft haben könnte.
»Mein Vater ist kein Mörder.«
Hardo seufzte.
»Wenn Ihre Vermutung zutrifft, dann kann er uns zu Danis Mörder führen. Ich muss den Verbindungsfuzzi auf Vordermann bringen und die Behörden in Österreich alarmieren. Die holen Ihren Vater notfalls noch aus der Maschine raus. Und wenn wir es bis dahin nicht schaffen, dann kriegen ihn die Holländer.«
Katinka kletterte die Leiter hinunter und hockte sich auf den Boden. Ihr Vater hatte davon gesprochen, unter Druck zu sein. Doch das konnte mit einem Bauprojekt zu tun haben, war im Grunde nichts Besonderes, eher alltäglich.
»Es tut mir wirklich leid, Katinka«, sagte der Kommissar. Seine Stimme nahm einen gequälten Klang an. »Ich muss das machen.«
»Ja, schon verstanden«, sagte Katinka. »Rufen Sie mich an, wenn Sie … ihn erwischt haben?«
»Ich verspreche es. Ich informiere Sie über alles.«
Katinka bedankte sich und drückte auf ›aus‹.
Kuba, dachte sie verdrossen, fuhr die Leiter wieder ein und stieß die Klappe zu. Sie biss die Zähne zusammen, als sie das Vogelgerippe und die Federn mit einem Stück Küchenrolle aufklaubte und in den Garten hinaustrug. Für ein paar Minuten blieb sie in der Sonne stehen. Die Wärme tat gut. Katinka schloss die Augen und träumte. Niemals im Leben glaubte sie, dass ihr Vater sich überstürzt in ein Flugzeug nach Kuba setzen würde. Im Gegenteil. Fast erschien es ihr logisch, dass er gerade nicht nach Kuba flog, sondern in Wien blieb oder wenigstens in Österreich. Sie glaubte auch nicht, dass er nach Franken fahren würde, um Dani umzubringen und mit einem Samuraischwert zu durchbohren.
Wieder klingelte das
Weitere Kostenlose Bücher