Kälteeinbruch (German Edition)

«Volltreffer, Ole!»
    Genau wie Anton vermutet hatte, lag für ihn kein Geschenk unter dem Baum. Ole entschuldigte sich dreimal, bevor sie zum Couchtisch zurückkehrten und sich setzten. Anton kippte das Pils hinunter, das inzwischen lauwarm geworden war. Zwischen zwei Kerzen lag ein Kartenspiel. Anton nahm es aus der Schachtel und forderte Kval zu einer Partie Mau-Mau heraus. Kval gewann die erste Runde. Anton verlangte eine Revanche, und Kval gewann erneut. Er setzte sein breitestes Grinsen auf. Lehnte sich übermütig im Sessel zurück, bevor er plötzlich aufsprang und verschwand. Drei Minuten später war er wieder da.
    «Ich hab im Keller noch vergeblich nach Geschenkpapier gesucht», sagte Ole und reichte Anton eine eingestaubte Flasche Wein, dann ließ er sich wieder in den Sessel fallen. «Eine Notlösung, wie du siehst, aber ich hatte nun wirklich nicht damit gerechnet, dass du etwas mitbringst.» Er lächelte vorsichtig.
    «Das klingt ja so, als wäre ich ein Geizkragen. Mein Geschenk kommt von Herzen, Ole.» Anton nickte den Kleidungsstücken zu, die Ole vor sich auf den Tisch gelegt hatte, und grinste frech.
    Kval schmunzelte. «Anton Brekke landet einen Volltreffer.»
    Anton sah sich die Flasche an. Wischte mit dem Daumen den Staub vom Etikett.
    «Leckerer Rotwein», bemerkte Kval. «Bin mir nicht sicher, ob du so was trinkst?»
    «Den werde ich mir für eine passende Gelegenheit aufheben. Vielen Dank.» Anton stellte die Flasche auf den Tisch. Nahm die Dokumentenmappe zur Hand, die den ganzen Abend dort gelegen hatte. Er lehnte sich zu Kval hinüber. Die anderen saßen immer noch unter dem Weihnachtsbaum. Unni hockte mit den beiden Kindern auf dem Boden, während ihre Eltern offensichtlich den Moment der Ruhe genossen.
    «Wie ich gestern schon am Telefon gesagt habe», setzte Anton an, «gibt es ein paar Dinge, über die wir reden müssen.»
    «Mhm.» Kval warf einen neugierigen Blick auf die Dokumentenmappe. Auf dem Deckblatt stand
RMI – Rechtsmedizinisches Institut
. «Ist das der Obduktionsbericht?»
    «Ja. Viggo Holms abschließender Obduktionsbericht. Das einzig Neue, was ich daraus erfahren habe, ist, dass er etwas früher ermordet wurde, als wir bisher angenommen hatten.»
    «Wann denn?»
    «Montagabend zwischen halb neun und halb zehn.»
    «Okay. Aber … das haut ja trotzdem noch hin. Die Nachbarin hat den Lieferwagen doch am Montagabend beobachtet.»
    «Das ist richtig. Aber erst, als sie ins Bett gehen wollte. Das war gegen elf, was bedeutet, dass Viggo Holm bereits tot war, als Bernandas Mielkos dort eintraf.»
    Ole Kval seufzte. «Das Schloss ist mit einem Dietrich geöffnet worden – Mielkos war ein erfahrener Einbrecher. Jetzt sag nicht, du gehst immer noch davon aus, dass Bernandas Mielkos nicht der Mörder ist. Wer sollte es sonst gewesen sein? Wenn wir den Obduktionsbericht außer Acht lassen, passt alles zusammen.»
    «Was sagst du da?» Anton sah schräg zu ihm hoch. «Außer Acht lassen? Wenn wir etwas nicht außer Acht lassen können, dann doch wohl den Obduktionsbericht.»
    «Welcher Rechtsmediziner?», wollte Kval wissen.
    «Mogens Poulsen», antwortete Anton.
    «Der Däne …»
    «Ja. Der Fähigste, den das RMI zu bieten hat.»
    «Und was glaubst du? Wer hat Viggo Holm deiner Ansicht nach umgebracht?»
    «Ich weiß es nicht», erwiderte Anton leise. «Aber ich habe mit ein paar Kollegen in Bryn über Karl Skarvik gesprochen, und die sind derselben Meinung wie ich.»
    «Und die wäre?»
    «Dass wir ihn zwischen den Jahren zur Vernehmung vorladen sollten.»
    «Mit welcher Begründung?»
    «Ich habe ihn überprüft. Der Mann hat 1980 seinen Namen geändert.»
    «Von Schakal zu Skarvik, oder was?», kicherte Kval.
    Anton sah Kval mitleidig an. «Keine weltbewegende Änderung, aber vorher hieß er Karl Lennart Skarvik. Er hat Lennart streichen lassen. Und wie wir wissen, hat Nils Jahr einen zweiten Vornamen, der mit L anfängt. Rate mal, welchen.»
    «Jetzt sag nicht, dass er Lennart heißt.»
    Anton nickte und lächelte triumphierend. «Weißt du, was ich glaube?»
    «Will ich das wissen?»
    «Karl Skarvik ist Nils’ Vater. Außerdem kommt mir sein Name bekannt vor. Irgendwoher kenne ich den, die Frage ist nur, woher. Vielleicht verwechsle ich hier was, aber ich bin mir sicher, dass ich ihn schon mal irgendwo gelesen habe.»
    «Jetzt mach aber mal ’nen Punkt, Anton. Sein Vater?»
    Anton berichtete von seinem Telefonat mit Herman Rödelheim. Wie Karl Skarvik gegen den Willen