Kälteeinbruch (German Edition)
Wohnzimmer. Er hatte die Augen geschlossen. Saß im Dunkeln. Spürte, wie die Flammen über sein Gesicht flimmerten. Lauschte dem Kamin. Dem leisen Heulen, jedes Mal wenn eine Sturmbö über das Haus fegte. Genoss es. Empfand dieselbe Entspannung wie damals, als er allein im rhodesischen Busch gestanden und den wilden Tieren gelauscht hatte.
Peter Jäckel, «der Leutnant», streckte die Hand nach der Flasche Wein vor ihm auf dem Tisch aus. Es war ein Quintarelli Amarone Jahrgang 2000 . Er schenkte sich ein Glas ein. Schob die Flasche zur Tischmitte und nahm einen Schluck. Verkostete schmatzend den anhaltenden Geschmack von Mandeln und Feigen.
Der 24 . Dezember war schon seit vielen Jahren kein Tag mehr, auf den er sich freute. Mery war zu ihrer Mutter gefahren, um dort mit ihrer Familie zu feiern. Sie hatte den Wunsch geäußert, ihre Mutter und ihre Geschwister auf den Hof einzuladen. Der Leutnant hatte nein gesagt, jedoch hinzugefügt, dass sie es vielleicht ein andermal nachholen könnten. Adam hatte er in der vergangenen Woche kaum gesehen, und wenn eines sicher war, dann dass er ihn auch heute Abend nicht zu Gesicht bekommen würde. Adam verbrachte seit zwanzig Jahren sämtliche Weihnachtsabende allein in seiner Wohnung in der Scheune. Auch der Leutnant zog die Einsamkeit vor, nicht, weil er schlechte Erinnerungen an Weihnachten hätte, ganz im Gegenteil, sondern weil er es zu dieser Zeit immer gern ruhig um sich hatte. Und ganz besonders an diesem Abend, wenn die meisten Männer, mit denen er in Kontakt stand, ihre gesamte Aufmerksamkeit der Familie schenkten.
Er zog die Wolldecke, die er über seine Beine gebreitet hatte, ein Stück hoch. Legte die Arme darunter. Atmete schwer durch die Nase. Roch den Duft des Kaminfeuers.
Dann ein lauter Knall. Der Leutnant riss die Augen auf. Das Geräusch war von der Vorderseite des Hauses gekommen, wo sich der Haupteingang befand. Ein kräftiger Windstoß schlug gegen die Wände. Es knarrte im Gebälk. Dieser Wind, dachte er und ließ den Kopf wieder sinken.
Dann hörte er Schritte. Hätte er nur ein Paar Füße auf dem Parkett gehört, wäre seine Reaktion eine andere gewesen. Er hätte sich damit beruhigt, dass die Schritte Adam gehören mussten, der sich nach Gesellschaft sehnte. Der Dezember war wesentlich ereignisreicher gewesen als üblich. Er hörte jedoch vier Füße näher kommen. Er zog die Arme unter der Wolldecke hervor und legte die Hände auf die Greifringe des Rollstuhls. Lautlos bewegte er sich in sein Büro, schloss vorsichtig die Tür und nahm hinter seinem Schreibtisch Aufstellung. Machte kein Licht. Aktivierte das Intercom und versuchte, eine Verbindung zu Adam herzustellen. Er erhielt keine Antwort. Die Schritte kamen näher. Langsam. Beinahe schleichend. Der Leutnant zog die oberste Schublade auf. Griff nach der Pistole, einem Colt 1911 A 1 Kaliber 45 , der genauso alt war wie er selbst. Spannte den Hahn. In der Kammer lag eine Kugel bereit. Er hob die Waffe und zielte auf die Tür. Kniff ein Auge zu. Seine Hand war noch immer genauso ruhig wie vor dreißig Jahren.
Die Schritte waren unmittelbar vor der Tür angekommen. Hielten inne. Er hörte ein Flüstern, verstand jedoch nicht, was gesagt wurde. Die Tür ging sachte auf. Eine große Gestalt trat in den Raum.
«Peter?»
«Herrgott», fauchte der Leutnant. «Adam!» Vorsichtig löste er den Finger vom Abzug, sicherte die Waffe und legte sie zurück in die Schreibtischschublade.
«Hier ist es ja stockfinster», bemerkte Adam. «Soll ich Licht machen?» Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er auf den Lichtschalter neben der Tür.
«Fast hätte ich dich erschossen.»
«Ich wollte dich überraschen.»
Adam sah ihn mit einem zaghaften Lächeln an. Das schwarze Hemd saß stramm um seine breiten Schultern und den muskulösen Nacken.
«Das ist dir gelungen. Was mich aber vor allem interessieren würde: Wen hast du mitgebracht?»
Adam streckte eine Hand durch die Tür. Ein kleiner Junge mit kurzen, braunen Haaren trat ein. Seine Wangen waren gerötet. In der einen Hand hielt er einen Spielzeugpanzer mit einer schwarzen Antenne. In der anderen eine Fernbedienung.
Der Leutnant sah Adam ernst an. «Was ist das?»
«Jemand, der sich bei dir für sein Geschenk bedanken möchte.»
«Wie bitte?» Der Leutnant sah den Jungen böse an, dann warf er Adam einen noch viel strengeren Blick zu. «Nein …» Er schluckte. Hatte noch den Weingeschmack im Mund. «Nein, nein, und nochmals nein.»
Dann
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