Kälteeinbruch (German Edition)
seiner Kollegen darauf bestanden hat, Nils Jahrs Behandlung zu übernehmen, obwohl er noch in derselben Woche aus der Osloer Praxis ausscheiden wollte.
«Schräg», erwiderte Kval und schüttelte den Kopf. «Jetzt bist du völlig übergeschnappt.» Er griff nach der Bierflasche, die vor Anton stand, und zog sie ein Stück von ihm weg. «Du hast genug für heute», lachte er leise.
«Ich bin kein bisschen angetrunken, Ole. Die Fakten liegen vor uns. Wir wissen, dass Nils keinen Kontakt zu seinem Vater hatte. Verdammt noch mal, die haben sogar die gleichen Augen. Ist dir das nicht auch aufgefallen?»
Kval zuckte mit den Schultern. Er wollte es nicht sehen. Und einsehen wollte er es schon gar nicht.
«Teilweise sogar die gleiche Körpersprache. Und als Karl Skarvik Nils im Krankenhaus besucht hat …» Anton sah Kval mit ernster Miene an. «Das Ganze war schon sonderbar. Skarvik war innerhalb von zwanzig Minuten da.
Zwanzig Minuten
, Ole. Und das Erste, was er tut, ist Nils umarmen. Spricht mit ihm wie … na ja, wie mit einem Sohn. Nun, mein lieber Kollege, was meinst du, ist das Begründung genug, ihn zu einer Vernehmung einzubestellen?»
Ole Kval atmete heftig. Schüttelte resigniert den Kopf. «Verdammte Scheiße.»
«Ich glaube nicht, dass Nils Bescheid weiß», fuhr Anton fort. «Ich hatte jedenfalls nicht den Eindruck. Ich glaube, die Versuchung war einfach zu groß, als Skarvik Nils’ Akte in die Finger bekam. Dort stand ja alles. Sein voller Name, Geburtsdatum, etc. Da sah er plötzlich die Gelegenheit, seinen erwachsenen Sohn kennenzulernen. Und natürlich wollte er helfen. Als Psychologe, aber auch und mit Sicherheit vor allem als Vater. Allerdings waren die Grausamkeiten, von denen sein Sohn berichtete, wesentlich grotesker, als er es sich hatte vorstellen können. Und da wurde es ihm zu viel. Er ist komplett ausgetickt und hat Viggo Holm umgebracht. So ist es meiner Ansicht nach gewesen.»
«Scheiße», murmelte Kval.
«Was denn?», fragte Anton.
«Das hat uns gerade noch gefehlt. Nicht nur, dass ich einen unbewaffneten Mann erschossen habe, jetzt war er nicht einmal der Mörder. Verdammt.»
«Ich war übrigens bei den Computerexperten und habe Bernandas Mielkos’ Mobiltelefon auswerten lassen.»
«Apropos … Haben die auf Viggo Holms Computern eigentlich irgendwas gefunden? Hast du was gehört?»
Anton nickte ernst. «Über fünfzehntausend Nacktbilder von kleinen Jungs. Manche waren gerade mal sieben oder acht. In Bryn wurde eine Sonderkommission gebildet, die Holms Netzwerk auseinandernehmen soll. Die haben schon mehrere Spuren gesichert. Wird vermutlich eine größere Sache.»
«Ja …», sagte Kval nachdenklich. «Und was hast du auf Mielkos’ Mobiltelefon gefunden?»
«Eine Bildnachricht. Ich habe mich bei der litauischen Polizei erkundigt, die haben mir bestätigt, dass es sich um ein Bild von Mielkos’ Schwester handelt. Der dazugehörige Text lässt vermuten, dass Bernandas Mielkos nicht ganz das befolgt hat, was seine litauischen Auftraggeber von ihm wollten.»
«Nicht?»
«Da stand: Wenn du sie wiedersehen willst, kommst du zum Treffpunkt.»
«Das war alles?»
«Ich habe keine Ahnung, welche Rolle Mielkos in alledem gespielt hat. Aber er muss völlig durchgedreht sein. Panik pur. Vielleicht war ihm gar nicht klar, was er geschmuggelt hat?»
«Mhm», machte Kval. «Meine Rede, er muss total ausgerastet sein. Was ist mit dem Messer, das Torp unter dem Sitz gefunden hat?»
«Keinerlei Fingerabdrücke, obwohl das ganze Auto voll davon war. Und wir wissen beide, was das zu sagen hat.»
«Dass es absichtlich dort deponiert wurde», sagte Kval und nickte zur Bestätigung. «Aber war es die Mordwaffe?»
«Das wissen wir noch nicht. Das Labor in Oslo konnte das nicht feststellen. Es wurde nach Deutschland geschickt. Aber wie hätte Karl Skarvik es dort deponieren können? Das begreife ich nicht.»
Ole stand auf. Ging durch das Wohnzimmer zur Verandatür.
«Ole!», ertönte Unnis laute Stimme von der Sitzgruppe beim Weihnachtsbaum. «Wo willst du hin?»
«Ein bisschen frische Luft schnappen», antwortete er mürrisch.
Anton nahm sein Pils und das Kartenspiel und folgte ihm.
Sie lehnten sich an das Verandageländer. Kval blickte in den sternenklaren Himmel und sagte, dass es morgen bestimmt noch kälter werden würde.
Anton antwortete nicht. Er schaute wortlos nach oben und mischte dabei die Karten. Nahm einen Schluck Bier und stellte die Flasche in einen kleinen Schneeberg
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