Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
lange gedauert. Zu dieser Jahreszeit kann niemand im eiskalten Wasser des Sees lange überleben.«
»Und María?«
»María hat zugesehen«, sagte Baldvin. »Sie schwieg, als die Polizei kam, und bestätigte nur, dass Magnús allein im Boot gewesen war.«
»Hat María dir nicht gesagt, was auf dem Boot passiert ist?«
»Nein. Das wollte sie nicht.«
»Aber du hast ihr geglaubt?«
»Selbstverständlich.«
»Hat das schwer auf ihr gelastet?«
»Ja, ständig. Erst nach Leonóras Tod, nach ihrem langen Sterben hier im Haus, hat María es mir gesagt. Ich habe versprochen, mit niemandem darüber zu sprechen. Ich hoffe, du wirst dieses Versprechen respektieren.«
»Haben sie deswegen sein Geld nicht angerührt? Hatten sie ein schlechtes Gewissen?«
»Dieses Land war völlig wertlos, bis die kleineren Gemeinden um Reykjavík zu wachsen begannen. Sie hatten das Land völlig vergessen, als plötzlich ein großes Bauunternehmen sie aufspürte und ihnen ein Angebot machte. Mehrere Hundert Millionen. Die beiden fielen aus allen Wolken.«
Baldvin blickte auf ein Foto von María, das auf einem Tisch neben ihnen stand.
»Sie hatte ganz einfach genug«, sagte er. »Sie hat nie mit jemandem über das Geschehene sprechen können, und Leonóra hat sie auf irgendeine Weise mitschuldig gemacht, um sich ihres Schweigens zu versichern. María konnte nicht allein mit der Wahrheit leben, und … sie wählte diese Lösung.«
»Du meinst, dass der Selbstmord mit dem Schicksal ihres Vaters zu tun hatte?«
»Meines Erachtens liegt das auf der Hand«, sagte Baldvin. »Ich wollte es dir nicht sagen, aber …«
Erlendur erhob sich. »Ich will dich nicht länger belästigen. Es reicht für heute.«
»Wirst du etwas in dem alten Fall unternehmen?«
»Ich sehe keine Veranlassung, das wieder aufzurollen. Es ist lange her, und Leonóra und María sind beide tot.«
Baldvin begleitete ihn zur Haustür. Erlendur war schon auf dem Bürgersteig, als er sich noch einmal zu ihm umdrehte.
»Da ist noch eines«, sagte er. »Gibt es in dem Haus in Þingvellir eine Dusche?«
»Eine Dusche?«, fragte Baldvin verblüfft zurück.
»Ja, oder eine Wanne?«
»In dem Haus ist beides. Eine Dusche und ein heißer Pool. Ich denke, du hast den heißen Pool gemeint. Er befindet sich auf der Veranda. Weshalb fragst du?«
»Nur so. Natürlich, ein heißer Pool. Der gehört ja bei solchen Ferienhäusern inzwischen dazu.«
»Auf Wiedersehen.«
»Ja, auf Wiedersehen.«
María war lange Zeit nicht von Visionen heimgesucht worden, als ihr plötzlich ihr Vater im Garten erschien und ihr zurief, sie solle auf der Hut sein. Ihr Vater verschwand ebenso schnell wieder, wie er aufgetaucht war. María hörte nur noch das Heulen des Windes und das Klappern des Gartentors. Sie stolperte wieder ins Haus, schloss die Tür zur Veranda ab, zog sich in ihr Zimmer zurück und vergrub ihr Gesicht im Kopfkissen.
Diese Stimme hatte sie schon vorher gehört, bei Andersen, dem Medium, genau dieselben warnenden Worte, aber sie wusste nicht, was sie zu bedeuten hatten, weswegen sie gesagt wurden und wie ernst sie zu nehmen waren. Sie wusste nicht, wovor sie auf der Hut sein sollte.
Sie war immer noch wach, als Baldvin spätabends nach Hause kam. Sie unterhielten sich noch einmal über die Séance bei Magdalena, von der María ihm erzählt hatte. Sie berichtete ihm ausführlich über diese Sitzung und wie sie sich danach gefühlt hatte. Sie sagte, sie glaube an das, was sie dort erfahren hatte, oder eher, sie wolle daran glauben. Sie wollte an ein Leben nach dem Tod glauben. Dass das Erdendasein nicht das Ende von allem war, weil es ein anderes Leben nach diesem Leben gab.
Baldvin lag schweigend neben ihr und hörte zu.
»Habe ich dir schon mal von Tryggvi erzählt?«
»Nein«, sagte María.
»Das war ein alter Bekannter von mir, der wollte unbedingt herausfinden, ob es ein Leben nach diesem Leben gibt. Er hat seinen Cousin dazu gebracht, ihm zu helfen. Der war schon fertig mit dem Studium. Er hatte etwas über ein französisches Experiment mit Nahtoderfahrung gelesen. Wir studierten zusammen. Da war auch noch ein Mädchen dabei. Zu viert haben wir dieses Experiment durchgeführt.«
María hörte Baldvin sehr aufmerksam zu, als er ihr berichtete, wie sie Tryggvi vom Leben zum Tod befördert und anschließend wieder zum Leben erweckt hatten. Alles war gut verlaufen, nur hatte Tryggvi nichts zu berichten gehabt.
»Was ist aus ihm geworden?«, fragte María.
»Ich
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