Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
dein Sohn ein Mädchen kennengelernt hatte.«
»Da war kein Mädchen«, sagte der alte Mann. »Unser Davið hätte uns davon erzählt. Sie hätte sich doch auch gemeldet, nachdem er verschwunden war. Etwas anderes ist doch undenkbar. Deswegen kann da kein Mädchen im Spiel gewesen sein.«
Der alte Mann machte eine abwehrende Handbewegung.
»Ausgeschlossen«, sagte er.
Sechsundzwanzig
Tags darauf bog Erlendur gegen Abend wieder in die Sackgasse in Grafarvogur ein und hielt vor dem Haus des Arztes. Sie waren verabredet, denn Erlendur hatte ihn kurz nach Mittag angerufen und ihm gesagt, er müsse mit ihm sprechen. Als Baldvin wissen wollte, weshalb, hatte Erlendur ihm gesagt, er hätte Informationen aus dritter Quelle erhalten, über die er sich mit ihm unterhalten wolle. Der Arzt gab sich überrascht und wollte wissen, was für eine dritte Quelle das war und ob die Polizei ihn jetzt im Fadenkreuz hatte. Wie zuvor versuchte Erlendur, ihn zu beschwichtigen, indem er sagte, es würde nur ganz kurze Zeit in Anspruch nehmen. Er wollte hinzufügen, dass es um nichts Ernstes ginge, aber das wäre eine Lüge gewesen.
Er blieb noch eine ganze Weile im Auto sitzen, nachdem er den Motor abgestellt hatte. Das bevorstehende Treffen mit Baldvin war nichts, worauf er sich freute. Es war ein Alleingang von ihm. Weder Elínborg noch Sigurður Óli wussten, womit er sich da befasste, genauso wenig wie seine Vorgesetzten bei der Kriminalpolizei. Erlendur hatte keine Ahnung, wie lange er noch damit durchkommen würde, einen Fall zu untersuchen, ohne dass es offiziell war. Wahrscheinlich hing es von Baldvins Reaktion ab, wie sich alles weiterentwickeln würde.
Baldvin nahm Erlendur an der Tür in Empfang und führte ihn ins Wohnzimmer. Er war allein im Haus. Erlendur hatte nichts anderes erwartet. Sie setzten sich, und die Atmosphäre war wesentlich angespannter als bei ihren vorausgegangenen Begegnungen. Baldvin war höflich und sehr formell. Bei ihrem Telefongespräch hatte er nicht gefragt, ob er rechtlichen Beistand benötigte, sehr zu Erlendurs Erleichterung, denn er hätte nicht gewusst, was er unter den gegenwärtigen Umständen darauf antworten sollte. So wie die Dinge lagen, war es am besten, allein mit Baldvin zu sprechen.
»Wie ich dir am Telefon gesagt habe …«, begann Erlendur und wollte die einleitenden Worte anbringen, die er sich im Auto überlegt hatte. Baldvin unterbrach ihn jedoch.
»Warum kommst du nicht einfach direkt zur Sache?«, fragte er. »Ich hoffe, dass das hier nicht allzu lange dauern wird. Was möchtest du wissen?«
»Ich wollte gerade sagen, dass es da drei Dinge gibt, aber …«
»Was willst du wissen?«
»Dein Schwiegervater Magnús …«
»Den habe ich nie kennengelernt«, sagte Baldvin.
»Nein, das ist mir klar. Was hat er gemacht?«
»Was er gemacht hat?«
»Wovon hat er gelebt?«
»Ich habe das Gefühl, dass du das bereits weißt.«
»Es wäre einfacher, wenn du nur die Fragen beantworten würdest«, sagte Erlendur.
»Er war Immobilienmakler.«
»Ein erfolgreicher?«
»Nein, leider nicht, im Gegenteil. Zum Zeitpunkt seines Todes steuerte alles auf den Bankrott zu, hat María mir erzählt. Leonóra hat auch darüber gesprochen.«
»Aber er ist nicht bankrottgegangen.«
»Nein.«
»Und Leonóra und María haben ihn beerbt?«
»Ja.«
»Was haben sie geerbt?«
»Das war damals nicht besonders viel«, sagte Baldvin. »Sie haben dieses Haus hier behalten, weil Leonóra so clever und unnachgiebig war.«
»Sonst nichts?«
»Ein Stück Land in Kópavogur. Es war irgendwann einmal in Rechnung genommen worden, als Anzahlung oder so etwas in der Art, und auf diese Weise gelangte das Land in seinen Besitz. Das war, zwei Jahre bevor er starb.«
»Leonóra hat dieses Land aber die ganzen Jahre behalten? Auch als sie um das Haus hier kämpfen musste?«
»Worauf willst du hinaus?«
»Seitdem ist Kóparvogur gewachsen wie keine andere isländische Kommune, dorthin sind mehr Menschen gezogen als auf irgendeinen anderen Fleck hierzulande, Reykjavík inklusive. Als das Land Magnús seinerzeit zufiel, war es so weit vor den Toren der Stadt, dass niemand es auch nur ansehen wollte. Jetzt liegt es aber sozusagen mitten in der Stadt. Wer hätte das je gedacht?«
»Ja, das ist unglaublich.«
»Ich habe nachgesehen, was Leonóra beim Verkauf dafür bekommen hat. Das ist so drei oder vier Jahre her, oder? Das war ein ganz ordentliches Sümmchen. Die Grundbucheintragungen in Kópavogur
Weitere Kostenlose Bücher