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Kaeltezone

Kaeltezone

Titel: Kaeltezone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Er trat an Lothar heran und packte ihn am Arm.
    »Wer bist du?«, fragte er gefasst und ruhig. »Sag mir das.« Lothar drehte sich zu ihm um und schlug seine Hand weg. Er packte ihn bei den Jackettaufschlägen und stieß ihn so heftig gegen den Aktenschrank an der Wand, dass es krachte.
    »Lass mich in Ruhe«, zischte Lothar zwischen zusammengebissenen Zähnen.
    »Was hast du Ilona angetan?«, fragte er mit der gleichen gefassten Stimme und machte keinen Versuch, sich zu wehren. »Wo ist sie? Sag mir das.«
    »Ich habe nichts getan«, fauchte Lothar. »Sondier deine Umgebung, du dämlicher Isländer!«
    Damit stieß Lothar ihn zu Boden und marschierte aus dem Zimmer.
    Auf der Heimreise erfuhr er, dass das sowjetische Militär in Ungarn einmarschierte, um den Aufstand niederzuschlagen.

    Er hörte die alte Wanduhr Mitternacht schlagen und legte die Briefe wieder zurück an ihren Platz.
    Im Fernsehen hatte er die Nachrichten aus aller Welt verfolgt. Die Berliner Mauer war gefallen, und Deutschland sollte wiedervereinigt werden. Er sah, wie die Menschen auf die Mauer kletterten und mit Spitzhacken und Vorschlaghämmern darauf einschlugen, als wollten sie die Bösartigkeit und Menschenverachtung treffen, mit denen sie errichtet worden war.
    Als die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten Wirklichkeit geworden war und er sich bereit glaubte, unternahm er eine Reise in die ehemalige DDR. Es war das erste Mal, seitdem er dort studiert hatte. Diesmal brauchte er nur einen halben Tag, um dorthin zu gelangen. Er flog nach Frankfurt und von dort aus weiter nach Leipzig. Am Flughafen nahm er ein Taxi, das ihn zu seinem Hotel brachte. Abends aß er allein im Hotel, das ganz in der Nähe der Altstadt und des Universitätsgeländes lag. Im Restaurant saßen nur wenige Menschen, zwei ältere Ehepaare und vereinzelt ein paar Männer. Womöglich Vertreter, dachte er. Einer von ihnen nickte ihm zu, als ihre Blicke sich trafen.
    Später am Abend unternahm er einen langen Spaziergang und erinnerte sich daran, was er gefühlt hatte, als er zum ersten Mal nach seiner Ankunft in aller Herrgottsfrühe durch die Stadt spazierte, in der er studieren sollte. Er dachte daran, wie die Welt sich seitdem verändert hatte. Er ging über das Universitätsgelände. Sein ehemaliges Wohnheim, die alte Villa, war instand gesetzt und restauriert worden, und dort befand sich jetzt die Hauptniederlassung eines ausländischen Konzerns. Das alte Universitätsgebäude, wo er Vorlesungen und Seminare besucht hatte, wirkte in der nächtlichen Finsternis noch düsterer, als er es in Erinnerung hatte. Er ging zurück in Richtung Innenstadt und besuchte die Nikolaikirche. Er stellte eine Kerze zum Gedenken an die Verstorbenen auf und zündete sie an. Dann lief er über den früheren Karl-Marx-Platz und von da aus zur Thomaskirche. Er schaute zur Statue von Bach hoch, vor der sie damals so oft gestanden hatten.
    Eine alte Frau näherte sich ihm und bot ihm einen Blumenstrauß an. Er lächelte sie an und kaufte ihr einen kleinen Strauß ab.
    Kurze Zeit später lenkte er seine Schritte dorthin, wo er im Geiste so oft verweilt hatte, im Wachen und im Träumen. Er freute sich zu sehen, dass das Haus noch stand. Es war zum Teil renoviert worden, und die Fenster waren erleuchtet. Er traute sich nicht, zu den Fenstern hineinzuschauen, aber es kam ihm so vor, als lebte dort jetzt eine Familie. Dort, wo einmal das Wohnzimmer der alten Dame gewesen war, die alle ihre Angehörigen im Krieg verloren hatte, sah man jetzt das Flimmern eines Fernsehgeräts. Jetzt sah es da drinnen bestimmt ganz anders aus. Vielleicht war ihr Zimmer jetzt das Kinderzimmer des ältesten Sprösslings.
    Er küsste den Blumenstrauß, legte ihn bei der Tür nieder und schlug das Zeichen des Kreuzes über ihm.
    Einige Jahre zuvor war er nach Budapest geflogen und hatte Ilonas hochbetagte Mutter und ihre beiden Brüder getroffen. Der Vater war gestorben, ohne etwas über das Schicksal seiner Tochter erfahren zu haben.
    Er saß einen ganzen Tag lang bei der alten Frau, die ihm Bilder von Ilona zeigte, als sie klein war, als Jugendliche und bis zum Abitur. Ilonas Brüder, die genau wie er nicht mehr die Jüngsten waren, sagten ihm das, was er bereits wusste, dass all ihr Bemühen um Antworten auf die Frage nach Ilonas Verbleib erfolglos geblieben war. Er hörte die Bitterkeit in ihren Worten und die Resignation, die sich seit langem in ihnen eingenistet hatte.
    Am Tag nach seiner Ankunft in Leipzig

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