Käptn Snieders groß in Fahrt
an die Füße. Der schlief inzwischen, aber immer noch mit rasselndem Atem. Käpten Snieders setzte sich auf sein Bett und beobachtete ihn besorgt.
„Wann kommt Mudder zurück?“ fragte er das Mädchen.
„Um halb elf“, antwortete Klara.
„Hm, dein Bruder darf keinen Augenblick allein sein. Ich denke ja, er hat es geschafft, aber er atmet noch zu unruhig. Am besten, du legst dich neben ihn, dann wärmt ihr euch gegenseitig, und wenn er schreit, kannst du ihn beruhigen.“
Klara gehorchte.
Es dauerte nicht zwei Minuten, da schlüpfte sie zu ihrem Bruder unter die Decke. Ihr stand der Schreck, den sie durchlebt hatte, noch im Gesicht, und sie zitterte. Käpten Snieders strich ihr mit seiner großen Hand übers Haar und sprach beruhigend auf sie ein.
„Nun man keine Angst mehr, mein Deern“, sagte er, „morgen früh ist alles vergessen.“
Das Mädchen fühlte sich wohl unter der harten, rissigen Hand. Und als die Wärme unmerklich sanft ihren Körper durchdrang, schlief sie ein.
Der alte Mann sah auf die Geschwister hinab und bemühte sich, die neue Zeit zu verstehen, die von einer Mutter verlangte, ihre hilflosen Kinder einen halben Tag lang allein zu lassen. Und er nahm sich vor, sein Möglichstes zu tun, um den Kindern und den Müttern ihr schweres Los zu erleichtern.
Über zwei Stunden saß er am Bett und bewachte den Schlaf der beiden. Der Junge atmete jetzt ruhig. Nichts ließ erkennen, daß eine Komplikation eintreten würde. Da stand Snieders auf, streichelte noch einmal den Hund, der sich vor dem Bett niedergelassen hatte, und hängte die nassen Kleidungsstücke über dem Küchenherd auf den Wäschetrockner.
Als er vor das Haus trat, dämmerte es bereits. Seine Dohle, die ihn an seinem Bettplatz ab und zu besucht hatte, flog ihm auf die Schulter und pickte zärtlich in sein Ohr. Am liebsten wäre er auch ins Bett gegangen, aber er wußte, daß Heini Brackwede noch auf ihn wartete. Er gähnte herzhaft und machte sich auf den Weg.
Heini war glücklich, als er den Kapitän durch die Tür treten sah. „Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen“, sagte er. „Die Aufsätze sind alle nachgesehen, und da auf der Kommode steht eine Flasche Rum. Mutti hat gesagt, Sie möchten trinken, soviel Sie wollten. Sie können sich auch einen Grog machen, in der Küche steht heißes Wasser.“
„Den könnte ich jetzt allerdings gut brauchen“, brummte der Alte. „Hast du auch ein Glas?“
„Das finden Sie im Küchenschrank, rechte Tür, Zucker steht unten im Speiseschrank.“
Käpten Snieders nahm die Rumflasche und ging in die Küche. Als er bald mit einem dampfenden Glas Grog zurückkam, sagte er: „Nun man los, Heini, lies mir mal die Einsen und die Sechsen vor, die du unter die Aufsätze geschrieben hast.“
„Einsen und Sechsen sind nicht dabei, Herr Kapitän“, sagte Heini. „Erna hätte ich eigentlich gern eine Eins gegeben, sie hat den besten Aufsatz geschrieben, aber sie hat dreiundzwanzig Fehler gemacht, und das drückt natürlich die Zensur.
Käpten Snieders staunte. An solche Feinheiten hätte er gar nicht gedacht, ja wahrscheinlich hätte er die Fehler auch gar nicht gefunden, jedenfalls nicht alle dreiundzwanzig.
„Gib mir doch mal Ernas Aufsatz“, sagte er.
Heini suchte das Heft aus dem Stoß heraus und schlug es auf. Der Alte wollte schon anfangen zu lesen, da entdeckte er am Ende des Aufsatzes eine halbe Seite in roter Schrift.
„Hast du das geschrieben?“ fragte er den Jungen. Der nickte und antwortete: „Ja! Der Schüler muß wissen, warum er eine gute oder schlechte Zensur bekommt. Das muß begründet werden.“ Käpten Snieders sah mit großer Hochachtung auf den kranken Jungen hinab. Dann las er, was da rot auf weiß in Ernas Heft stand.
„Erna, du hast die Geschichte lebendig wiedergegeben, hast treffende Ausdrücke gefunden, mit Geschick schwierige Wortverbindungen gemeistert und im allgemeinen auch die Sätze mit dem richtigen Bindewort aneinandergereiht. Der Leser wird gefangen und lauscht dir gern, besonders auch weil du humorvoll schreibst. Das alles ist sehr zu loben. Leider bist du aber in der Rechtschreibung sehr unsicher, ja geradezu schlampig. Das hat dich in diesem Falle um die Eins gebracht, die deine flüssige Darstellung wohl verdient hätte. Wägt man diese Schwäche gegen die Vorzüge auf, dann muß man die Arbeit ,gut‘ nennen. H. Br.“
Käpten Snieders blickte wie gebannt auf die klaren Schriftzüge in Rot.
„Hast du unter alle Aufsätze
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