Käptn Snieders groß in Fahrt
liegen und suchte nach den passenden Worten, um die Schüler einzustimmen.
„Also, Leute“, begann er schließlich, „hier sind eure Aufsätze wieder. Unter jedem steht etwas in roter Schrift. Das lest euch gut durch, damit ihr wißt, weshalb ihr eine Zwei oder Drei gekriegt habt. Der Aufsatz von Erna ist der beste. Marias ist auch ganz hübsch. Lutz hat sich im Ausdruck ein wenig vergriffen, und Hinnerk fängt die Geschichte hinten an und hört in der Mitte auf.“ Das sagte er, während er die Hefte aufschlug und auf Heinis rote Bemerkungen blickte.
„Susis Seeungeheuer ist kein bißchen gefährlich, bei Hans wird mit Haferflocken statt mit Niespulver geschossen, und Kluten verwechselt Luv mit Lee.“
So hatte er zu jedem Aufsatz etwas zu sagen, bevor er ihn zurückgab. Die Kinder hörten sich das an und fanden es ganz in Ordnung. Genauso hatte Herr Heinecke es auch gehandhabt. Sie wunderten sich auch nicht über die schöne Schrift, die gleichmäßigen Buchstaben in Rot.
Käpten Snieders wartete, nachdem er alle Hefte ausgegeben hatte, eine Weile gespannt und beobachtete dabei seine Schüler. War denn keiner unter ihnen, der mit der Beurteilung seines Aufsatzes nicht zufrieden war? Wollte nicht einmal der dicke Michael Triebsch eine abfällige Bemerkung machen? Nein! Alle fanden ihre Arbeit gerecht zensiert. Lutz Lehmann war zwar auffällig blaß und kaute heftig an seiner Unterlippe, aber auch er meldete sich nicht.
Der Kapitän war froh darüber. Gerade ihm hätte er am allerwenigsten eine Antwort geben können. Lutz schluckte seine Vier, grübelte, wie es schien, über die vielen roten Schlangenlinien in seinem Heft nach und mochte jetzt wohl auch merken, daß manche seiner Ausdrücke und Wendungen nicht ganz glücklich waren.
Da ging Ludwig Reiners’ Finger hoch.
Käpten Snieders sah ihn an und forderte ihn durch ein Kopfnicken zum Reden auf.
„Die Zensuren müssen ins Notenbuch eingetragen werden“, sagte er, „darf ich das schon machen?“
„Na klar“, antwortete der Kapitän, „fang man an!“
Ohne Umschweife schrieb der Erste Offizier nun mit roter und blauer Tinte die Aufsatzzensuren, die die Kinder ihm zuriefen, in ein schmales Heft. Käpten Snieders machte große Augen. Als Ludwig fertig war, legte er das Heft in den Schrank zurück und fragte: „Sollen wir die Berichtigungen jetzt machen oder zu Hause?“ Darüber hatte Käpten Snieders noch gar nicht nachgedacht, ja ihm war gar nicht in den Sinn gekommen, daß die Aufsätze berichtigt werden müßten. Und darum war er mit der Antwort nicht schnell bei der Hand. Um Zeit zu gewinnen, sagte er gedehnt: „Tja, zu Hause, das ist ja man so ’ne Sache, nicht?“
„Also hier“, sagte Ludwig Reiners. „Das ist auch besser, dann können wir Sie nämlich fragen, wenn wir etwas nicht verstehen.“ Auweih, das war dem Alten gar nicht so angenehm, aber nun mochte er keine andere Anweisung mehr geben und ließ es dabei. Die Kinder fingen mit der Berichtigung an.
Sie suchten nach anderen Ausdrücken, sie machten Kleingeschriebenes groß und Großgeschriebenes klein, sie stellten Sätze um, setzten Punkte und Kommas, wo sie hingehörten, und brachten den alten Kap-Hoorn-Umsegler mit keiner Frage in Verlegenheit. Das wunderte ihn, und darum stand er auf, um den so eifrig Arbeitenden ein wenig über die Schulter zu sehen. Da merkte er wohl, warum keine Fragen nötig waren. Heini Brackwede hatte das Falsche so genau an der fehlerhaften Stelle unterstrichen oder, bei den Kleinen, das Richtige dazugeschrieben, daß alle zurechtkamen und des Kapitäns Hilfe nicht brauchten. Darum ging die Korrektur so munter vonstatten.
Nur Rudi Turka langweilte sich, weil er nichts zu berichtigen hatte. Unter seiner Zeichnung stand eine rote Zwei. Da gab es nichts mehr zu ändern.
Kein Wunder also, daß Rudi, um sich zu beschäftigen, Verbindung mit dem Neuling der Klasse aufnahm. Er drehte sich in der Bank um und winkte dem kleinen Johann Furken freundlich zu. Der saß ihm schräg gegenüber, sehr artig, mit gefalteten Händen, wie es ihm seine Mutter aufgetragen hatte. Rudis Winkewinke sah er natürlich und hätte auch gerne zurückgewinkt, aber er getraute sich nicht.
Als Rudi merkte, daß der Kleine nicht reagierte, versuchte er sein Glück bei dem Hund, der mit spielenden Ohren, den Kopf auf die ausgestreckten Vorderpfoten gelegt, aufmerksam und hellwach die schreibenden Kinder beobachtete. Da vorne zog jetzt jemand irgend etwas aus der Tasche,
Weitere Kostenlose Bücher