Kafka am Strand
Himmel, das beim Aufprall auf den Boden ein seltsames Putschen erzeugte. Die Männer waren zu abgelenkt, weiterhin auf ihr Opfer einzutreten, und einer nach dem anderen blickte gen Himmel. Keine Wolke war zu sehen, aber aus einem Winkel des Himmels fiel etwas zu Boden. Anfangs tröpfelte es nur, dann wurde es mehr, bis es schließlich wie aus Eimern goss. Was da vom Himmel fiel, war circa drei Zentimeter lang und schwarz. In der Parkplatzbeleuchtung sah es aus wie glänzender schwarzer Regen. Dieser unheimliche Regen prasselte auf die Schultern, Arme und Nacken der Männer und blieb dort haften. Sie versuchten, ihn mit den Händen abzustreifen, aber es gelang ihnen nicht recht.
»Blutegel!«, schrie einer.
Bei diesem Stichwort rannten die Männer kreischend vom Parkplatz in Richtung der Toiletten. Auf dem Weg dorthin lief ein blonder junger Mann vor ein kleines Auto, das auf die Ausfahrt zufuhr, aber es war so langsam, dass er kaum verletzt wurde. Er stürzte zu Boden, stand gleich wieder auf und schlug fluchend mit der flachen Hand auf die Motorhaube des Wagens. Mehr tat er nicht, sondern hinkte eilends zu den Toiletten.
Eine Weile regnete es munter weiter, dann ließ der Blutegelschauer allmählich nach, bis er schließlich ganz verebbte. Nakata schüttelte die Blutegel von seinem Schirm, klappte ihn zu und ging zu dem am Boden liegenden Mann. Da sich überall haufenweise Blutegel wanden, kam er nicht ganz an ihn heran. Auch der Mann war zum Teil von Blutegeln bedeckt. Bei genauerem Hinsehen sah Nakata, dass ein Augenlid des Mannes aufgeplatzt war und blutete. Ein paar Zähne schienen auch herausgebrochen zu sein. Da Nakata ihn nie hätte hochheben können, blieb ihm nur die Möglichkeit, jemanden zu Hilfe zu rufen. Also trabte er zurück zum Restaurant, wo er einem Angestellten erklärte, dass auf dem Parkplatz ein verletzter junger Mann liege.
»Wenn keiner die Polizei ruft, stirbt er vielleicht«, sagte er.
Kurze Zeit später fand er einen Fernfahrer, der bereit war, ihn nach Kobe mitzunehmen. Der Mann war Mitte zwanzig, nicht besonders groß, hatte einen schläfrigen Blick und saß allein. Er trug einen Pferdeschwanz, einen Ohrring und eine Baseballmütze, die ihn als Fan der Baseballmannschaft Chunichi Dragons auswies. Er las in einer Comiczeitschrift und rauchte. Er hatte ein grell gemustertes Hawaiihemd an und gewaltige Nike-Turnschuhe. Seine Zigarettenasche schnippte er umstandslos in die von seiner Nudelsuppe übrig gebliebene Brühe.
Er starrte Nakata ins Gesicht und nickte dann ein bisschen mürrisch.
»Kommen Sie nur mit. Sie erinnern mich an meinen Opa. Wie Sie aussehen und Ihre verschrobene Art zu reden und so … Zum Schluss war er total senil; vor kurzem ist er dann gestorben.«
Gegen Morgen musste er in Kobe sein. Er transportierte Möbel für ein Kaufhaus dort. Als sie den Parkplatz verließen, sahen sie, dass es einen Auffahrunfall gegeben hatte. Mehrere Polizeiwagen waren im Einsatz. Rote Warnlampen rotierten, und die Polizei leitete die den Parkplatz verlassenden Autos mit Scheinwerfern um. Es war kein schwerer Unfall, ein paar Wagen waren wie Billardkugeln aneinander gestoßen. Ein Kombi hatte eine Delle an der Seite, und das Rücklicht eines Pkw war zertrümmert worden. Nakatas Fahrer ließ das Fenster herunter und steckte den Kopf hinaus, um ein paar Worte mit einem Polizisten zu wechseln. Dann schloss er das Fenster wieder.
»Er sagt, vom Himmel wären bergeweise Blutegel gefallen«, erzählte der Fahrer gleichmütig. »Die wurden von den Autoreifen zermatscht, und jetzt ist es so glatt, dass man nicht mehr lenken kann. Deshalb sollen wir aufpassen und langsam fahren. Außerdem hat sich eine Motorradgang eine Schlägerei geliefert, bei der anscheinend jemand verletzt wurde. Blutegel und eine Motorradgang, ein komisches Zusammentreffen. Jedenfalls haben die Bullen alle Hände voll zu tun.«
Obwohl er seine Geschwindigkeit drosselte und sehr vorsichtig auf die Ausfahrt zufuhr, schlingerte der Laster einige Male, sodass der Fahrer leicht gegensteuern musste.
»Du meine Güte, da scheint ja eine Menge runtergefallen zu sein«, sagte er. »Die reinste Rutschbahn. Blutegel sind echt widerlich. Haben Sie schon mal einen Blutegel gehabt?«
»Nein, soweit Nakata sich erinnern kann, nicht.«
»Ich schon oft, denn ich bin in den Bergen in Gifu aufgewachsen. Es gibt auch welche, die sich von oben fallen lassen, wenn man durch den Wald geht. Oder sie heften sich einem an die Füße, wenn
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