Kafka am Strand
ist, als gäbe es in der Abstellkammer noch eine alte Stereoanlage. Allerdings bin ich nicht sicher, ob sie noch funktioniert.«
Die Abstellkammer liegt dem Parkplatz gegenüber. Nur durch ein hohes Fenster fällt Licht herein. Die dort zu verschiedenen Zeiten und durch verschiedene Umstände zusammengekommenen Dinge sind planlos abgestellt. Möbel, Geschirr, Zeitschriften, Kleidung, Bilder … Einige der Sachen sind sicher von Wert, aber das Gerümpel ist eindeutig in der Überzahl. »Jemand müsste hier mal ausmisten, aber dazu bringt wahrscheinlich keiner den Mut auf«, sagt Oshima düster.
In diesem Raum voll vom Strandgut vergangener Zeiten entdecken wir eine altmodische Stereoanlage von Sansui. Das Gerät an sich ist sehr solide, aber auf dem neusten Stand war es wahrscheinlich vor fünfundzwanzig Jahren. Es ist von einer dünnen, hellen Staubschicht bedeckt. Verstärker, ein automatischer Plattenspieler, Regal-Lautsprecher. In der Nähe finden wir noch eine alte Langspielplattensammlung. Beatles, Rolling Stones, Beach Boys, Simon and Garfunkel, Stevie Wonder … ausschließlich Musik aus den sechziger Jahren. Es sind ungefähr dreißig Platten. Ich ziehe eine davon aus der Hülle. Offenbar hat man sie sorgfältig behandelt, denn sie hat nicht einen Kratzer, und Schimmel hat sich auch nicht gebildet.
Außerdem finden wir in der Abstellkammer eine Gitarre. Ihre Saiten sind auch noch vorhanden. Und stapelweise Zeitschriften, deren Titel ich noch nie gesehen habe. Ein alter Tennisschläger findet sich auch. Wir stehen vor einem ganzen Sammelsurium aus der jüngeren Vergangenheit.
»Die Platten, die Gitarre und der Tennisschläger haben bestimmt Frau Saekis Freund gehört«, sagt Oshima. »Da er ja, wie gesagt, in diesem Trakt gewohnt hat, haben sie vielleicht seine Sachen von damals, als sie sie zusammengepackt haben, hier untergebracht. Obwohl die Stereoanlage nicht ganz so alt zu sein scheint, oder?«
Wir tragen die Anlage und die Platten in mein Zimmer, stauben sie ab, stecken den Stecker in die Steckdose, schließen den Plattenspieler an den Verstärker an und schalten ein. Das Lämpchen am Verstärker leuchtet grün auf. Anstandslos beginnt der Plattenteller sich zu drehen. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass die Nadel im Tonarm in Ordnung ist, lege ich die LP »Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band« von den Beatles auf. Aus dem Lautsprecher ertönt das bekannte Gitarrenvorspiel. Der Klang ist wesentlich klarer als erwartet.
»Wir haben zwar eine Menge Probleme in unserem Land, aber zumindest der Industrie und Technik gebührt Respekt«, sagt Oshima anerkennend. »Obwohl das Ding wahrscheinlich ewig nicht benutzt worden ist, klingt es richtig gut.« Wir hören uns »Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band« an. Da ich das Stück bisher nur auf CD gehört habe, kommt es mir fast wie eine andere Musik vor.
»Jetzt haben wir zwar die Anlage wiederbelebt, aber die Single von ›Kafka am Strand‹ ausfindig zu machen wird vielleicht nicht ganz einfach. Die könnte inzwischen sogar ziemlich wertvoll sein. Ich frage mal meine Mutter. Es könnte sein, dass sie sie hat. Wenn nicht, kennt sie vielleicht jemanden, der noch eine hat.«
Ich nicke.
Oshima hebt wie ein Lehrer den Zeigefinger. »Ich glaube, ich habe es schon erwähnt: Ich möchte auf keinen Fall, dass das Lied gespielt wird, wenn Frau Saeki hier ist. Unter keinen Umständen. Das verstehst du doch?«
Ich nicke.
»Es ist wie in dem Film ›Casablanca‹«, sagt Oshima und summt den Anfang von »As Time Goes By«. »Spielen Sie bitte niemals dieses Lied!«
»Ich möchte Sie etwas fragen, Herr Oshima«, wage ich mich vor.
»Wer ist das ungefähr fünfzehnjährige Mädchen, das man hier manchmal sieht?«
»Meinst du mit hier die Bibliothek?«
Ich nicke. Oshima neigt den Kopf leicht zur Seite und denkt einen Moment lang nach.
»Soweit ich weiß, gibt es hier kein fünfzehnjähriges Mädchen«, sagt er. Dann sieht er mir ins Gesicht, als würde er durchs Fenster in ein Zimmer spähen. »Warum fragst du mich wieder so was Komisches?«
»Weil ich kürzlich das Gefühl hatte, ein Mädchen gesehen zu haben«, sagte ich.
»Wann kürzlich? «
»Gestern Nacht.«
»Du hast hier gestern Nacht ein fünfzehnjähriges Mädchen gesehen?«
»Ja.«
»Was für ein Mädchen?«
Ich wurde ein bisschen rot. »Ein ganz normales Mädchen. Sie hatte schulterlanges Haar und trug ein hellblaues Kleid.«
»War sie hübsch?«
Ich nicke.
»Vielleicht
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