Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Lokal, setzte seine Dragons-Kappe auf und schlenderte ziellos umher. Das Viertel machte nicht gerade einen interessanten Eindruck, aber zu Fuß und allein durch eine unbekannte Stadt zu streifen war gar kein übles Gefühl. Im Grunde war es das Gehen, das ihm gefiel. Eine Marlboro zwischen den Lippen, die Hände in den Taschen, bummelte der junge Mann von Straße zu Straße, von Allee zu Allee. Wenn er nicht rauchte, pfiff er. Er kam durch belebte Gegenden und durch ganz stille, in denen er keinem Menschen begegnete. Doch alle durchschritt er rasch und im gleichen Tempo. Er war jung, frei und gesund, und es gab nichts, wovor er sich fürchten musste.
    Gerade kam er aus einer schmalen Gasse mit Karaoke- und Snackbars (von der Sorte, die alle sechs Monate ihren Namen wechseln) in eine verlassene, etwas dunkle Gegend, als hinter ihm jemand laut seinen Namen rief. »Hoshino, Hoshino!«
    Zuerst glaubte der junge Mann nicht, dass er gemeint war. Wer sollte schon in Takamatsu seinen Namen kennen? Wahrscheinlich war ein anderer Hoshino gemeint. Hoshino war zwar kein allzu häufiger Name, aber so selten nun auch wieder nicht. Also ging er weiter, ohne sich umzudrehen.
    Aber die Person blieb ihm, hartnäckig seinen Namen rufend, auf den Fersen. »Hoshino, Hoshino!«
    Schließlich blieb Hoshino doch stehen und wandte sich um. Hinter ihm stand ein zierlicher alter Mann in einem schneeweißen Anzug. Seine Haare waren weiß, er trug eine seriös wirkende Brille und einen ergrauenden kurzen Bart. Seinen Hemdkragen zierte eine schwarze Westernkrawatte. Er hatte japanische Gesichtszüge, aber sonst erinnerte seine Erscheinung an einen amerikanischen Südstaaten-Gentleman. Er war nicht größer als eins fünfzig, und insgesamt sah er eher wie ein maßstabsgetreu verkleinerter Miniaturmensch aus und nicht wie jemand, der einfach klein war. Er streckte beide Arme waagrecht vor sich aus, als hielte er ein Tablett.
    »Hoshino!«, rief der alte Mann. Er hatte eine durchdringende, schrille Stimme und einen leichten Akzent.
    Sprachlos starrte Hoshino ihn an. »Sie sind –«
    »Ganz recht, Colonel Sanders.«
    »Ein Imitator«, sagte Hoshino verblüfft.
    »Kein Imitator. Ich bin Colonel Sanders.«
    »Der von Fried Chicken?«
    Der alte Mann nickte würdevoll. »Genau der.«
    »Woher kennen Sie meinen Namen, Mann?«
    »Ich habe beschlossen, alle Chunichi-Dragons-Fans Hoshino zu nennen. Die Fans von den Giants nenne ich Nagashima und die von den Dragons Hoshino.«
    »Ich heiße aber tatsächlich Hoshino.«
    »Eine zufällige Übereinstimmung, für die ich nichts kann«, sagte Colonel Sanders blasiert.
    »Und was wollen Sie von mir?«
    »Hätten Sie nicht Lust auf ein hübsches Mädchen?«
    »Aha«, sagte Hoshino. »Sie sind auf Kundenfang. Daher die Aufmachung.«
    »Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen, Hoshino, das ist keine Verkleidung. Ich bin Colonel Sanders. Missverstehen Sie mich nicht.«
    »Und warum bieten Sie in den Gassen von Takamatsu Mädchen an, wenn Sie der echte Colonel Sanders sind, Mann? Einer wie Sie könnte doch von seinen Lizenzeinnahmen leben und jetzt irgendwo in Amerika am Pool seiner Villa einen angenehmen Ruhestand verbringen.«
    »Auf der Welt gibt’s eben verdrehtes Zeug.«
    »Wie?«
    »Du kapierst das nicht, aber durch das Verdrehte erhält die Welt erst ihre dreidimensionale Tiefe. Wenn man alles gerade haben will, muss man in einer rechtwinkligen Welt wohnen.«
    »Mann, Sie reden vielleicht einen Stuss zusammen«, sagte Hoshino verwundert. »Nicht zu fassen, was für Typen mir in letzter Zeit über den Weg laufen. Wenn das so weitergeht, muss ich wohl meine Weltsicht ändern.«
    »Das kannst du halten, wie du willst. Willst du jetzt ein Mädchen oder nicht?«
    »Fashion Health?«
    »Was ist das – Fashion Health?«
    »Sie wissen schon – kein Reinraus, sondern bloß blasen und einen runterholen.«
    »Nein.« Colonel Sanders schüttelte verärgert den Kopf. »Nein und nochmals nein. Nicht nur blasen und einen runterholen, sondern richtig Fickificki.«
    »Soap?«
    »Was ist denn das wieder?«
    »Lassen Sie mich jetzt in Ruhe. Ich habe jemanden dabei und muss morgen früh raus. Also kann ich mir nicht die Nacht um die Ohren schlagen.«
    »Du willst also kein Mädchen?«
    »Heute Nacht will ich weder ein Mädchen noch Fried Chicken. Also, ich mache mich jetzt auf den Heimweg.«
    »Wirst du denn überhaupt einschlafen können?«, sagte Colonel Sanders in vielsagendem Ton. »Wenn man das, was man sucht, nicht findet,

Weitere Kostenlose Bücher