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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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verstehen.«
    »Außerdem finde ich, dass Colonel Sanders ganz gut zu Ihrem Charakter passt.«
    »Ich habe keinen Charakter. Auch keine Emotionen. ›Ich bin hier erschienen und unterhalte mich jetzt mit Euch, doch bin ich weder Gott noch Buddha‹.«
    »Was ist das?«
    »Ein Satz aus den Geschichten unter dem Regenmond von Ueda Akinari. Hast du sowieso nicht gelesen.«
    »Hab ich auch nicht, aber stolz bin ich nicht drauf.«
    »Ich erscheine dir jetzt in menschlicher Gestalt, aber ich bin weder ein Gott noch Buddha. Da ich keine Gefühle habe, habe ich ganz andere Regungen als Menschen. So ist das.«
    »Aha«, sagte Hoshino. »Ich versteh’s zwar nicht genau, aber auf alle Fälle sind Sie kein Mensch, kein Gott und auch nicht Buddha.«
    »›Ich bin weder Gott noch Buddha, sondern nur ein fühlloses Ding und habe daher weder über Tugenden noch Laster der Menschen zu urteilen.‹«
    »Kapier ich nicht.«
    »Da ich weder Gott noch Buddha bin, muss ich nicht beurteilen, ob ein Mensch gut oder böse ist. Das heißt, ich brauche mich selbst auch nicht nach den Maßstäben von Gut und Böse zu richten.«
    »Sie sind also eine Existenz, die über Gut und Böse hinausgeht.«
    »Du überschätzt mich, junger Freund. Ich bin nicht jenseits von Gut und Böse. Sie spielen nur keine Rolle für mich. Böse oder gut – davon weiß ich nichts. Ich strebe nur eins an, und zwar, meine Funktion zu erfüllen. Ich bin sehr pragmatisch. Sozusagen ein neutrales Objekt.«
    »Was meinen Sie mit ›Funktion erfüllen‹?«
    »Bist du nicht zur Schule gegangen?«
    »Doch, aber ich war auf einer Berufsschule und Motorradfreak.«
    »Im Grunde besteht meine Aufgabe in der Verwaltung der Beziehungen zwischen den Welten. Darin, die Dinge in die richtige Reihenfolge zu bringen und aufzupassen, dass nach der Ursache die Wirkung kommt. Und dass verschiedene Bedeutungen sich nicht vermischen. Damit vor der Gegenwart die Vergangenheit kommt. Und nach der Gegenwart die Zukunft. Auf ein bisschen mehr oder weniger Vorher oder Nachher kommt es dabei nicht an. Nichts auf der Welt ist vollkommen, junger Hoshino. Solange nur die Bilanz unterm Strich einigermaßen stimmt, mach ich nicht wegen jeder Kleinigkeit ein großes Theater. Aus meiner Sicht muss es nur ungefähr hinkommen. Wissenschaftlicher ausgedrückt ist das so etwas wie die ›verkürzte sensorische Verarbeitung von Realzeitinformationen‹. Aber darauf einzugehen würde zu weit führen, und da du es wahrscheinlich sowieso nicht kapieren würdest, fasse ich mich kurz. Eigentlich will ich damit nur sagen, dass ich nicht kleinlich bin. Aber wenn am Ende die Bilanz nicht stimmt, sitze ich in der Klemme. Dann wird es zu einer Frage der Verantwortung.«
    »Wenn Sie eine so bedeutende Person sind, kapier ich allerdings nicht, warum Sie in den Gassen von Takamatsu den Zuhälter spielen.«
    »Ich bin keine Person. Wie oft soll ich dir das noch sagen!«
    »Ist ja schon gut, meinetwegen.«
    »Mein Auftreten als Zuhälter diente dazu, dich hierher zu Führen. Ich brauche deine Hilfe. Als Belohnung wollte ich mir was Hübsches einfallen lassen. Zur Feier des Tages sozusagen.«
    »Meine Hilfe?«
    »Genau. Wie gesagt, ich habe keine Form. Ich bin ein rein metaphysisches, theoretisches Objekt. Welche Gestalt ich auch immer annehme, sie hat keine Substanz. Doch um real handeln zu können, braucht man unbedingt Substanz.«
    »Und ich soll jetzt die Substanz sein.«
    »Genau«, sagte Colonel Sanders.
     
    Als sie dem Pfad durch das Wäldchen eine Weile gefolgt waren, stießen sie auf einen kleinen Schrein unter einer mächtigen Eiche. Es war ein vermodertes, altes Schreinchen ohne Opfergaben und Schmuck, das verlassen, verwittert und anscheinend von allen vergessen war. Colonel Sanders leuchtete es mit der Taschenlampe an.
    »Der Stein ist da drin. Mach die Tür auf.«
    »Lieber nicht«, sagte Hoshino und schüttelte den Kopf. »Einen Schrein darf man nicht einfach eigenmächtig öffnen, sonst wird man garantiert verflucht. Die Nase fällt einem ab, die Ohren fallen einem ab und so.«
    »Quatsch. Das geht in Ordnung. Mach das Ding jetzt auf. Es gibt keine Flüche. Und die Nase und die Ohren fallen dir auch nicht ab. Du bist vielleicht ein komischer altmodischer Kerl.«
    »Könnten Sie die Tür nicht selber öffnen? Ich will so was nicht machen.«
    »Was bist du nur für ein Einfaltspinsel! Habe ich dir nicht gerade erklärt, dass ich keine Substanz habe? Ich bin nicht mehr als eine abstrakte Idee. Also kann ich

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