Kafka am Strand
eigenes Gewicht fast von allein auf die andere Seite. Es rummste, dass die Wände wackelten. Das ganze Hause schien zu beben.
Hoshino stolperte nach hinten und fiel rücklings auf die Tatami. Er keuchte heftig. Wirbel aus weichem Schlamm schienen sich in seinem Kopf zu drehen. So was Schweres werde ich wohl nie wieder heben, dachte er. (Zu diesem Zeitpunkt konnte er es noch nicht wissen, aber seine Prognose sollte sich als zu optimistisch erweisen.)
»Herr Hoshino.«
»Was ist?«
»Der Eingang ist offen!«
»Mann, alter Freund, Nakata!«
»Ja, bitte, was ist denn?«
Der junge Mann drehte sich mit geschlossenen Augen um und atmete noch einmal tief ein und aus.
»Sonst wäre ich auch ganz schön blamiert gewesen.«
33
Bevor Oshima eintrifft, bereite ich alles für die Öffnung der Bibliothek vor. Sauge Staub, putze die Fenster, reinige die Toilette und wische alle Stühle und Tische ab. Das Treppengeländer poliere ich mit einem Möbelspray. Vorsichtig reibe ich die Buntglasscheiben im Flur ab. Ich kehre den Garten, schalte die Klimaanlage im Lesesaal und den Lufttrockner in der Bibliothek an. Ich mache Kaffee und spitze Bleistifte. Die morgendliche Leere der Bibliothek, die Worte und Gedanken, die stumm dort ruhen, berühren mein Herz, sodass ich das Bedürfnis verspüre, diesen Ort möglichst schön, sauber und unversehrt zu erhalten. Ein ums andere Mal unterbreche ich meine Arbeit, um die Reihen der schweigenden Bände in den Regalen zu betrachten und einige der Buchrücken zu berühren. Um halb elf höre ich wie üblich auf dem Parkplatz den Motor von Oshimas Roadster. Sein Besitzer sieht noch etwas verschlafen aus. Wir plaudern ein wenig, bis die Bibliothek öffnet.
Nachdem wir aufgemacht haben, frage ich Oshima, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich ein bisschen wegginge.
»Wohin denn?«, fragt er.
»Ins Sportstudio, um mir etwas Bewegung zu verschaffen. Ich habe schon eine ganze Weile nicht richtig trainiert.«
Natürlich ist es nicht nur das. Ich möchte es vermeiden, Saeki-san zu begegnen, wenn sie im Laufe des Vormittags zur Arbeit kommt. Ich will sie erst Wiedersehen, wenn ich mich etwas beruhigt habe.
Oshima schaut mich an und nickt, nachdem er ein- und ausgeatmet hat. »Aber pass ein bisschen auf. Ich will keine Glucke sein und dich nerven, aber in deiner Lage kannst du dich gar nicht genügend vorsehen.«
»Mach ich«, sage ich.
Meinen Rucksack über der Schulter, fahre ich mit der Straßenbahn zum Bahnhof, wo ich in den Bus zum Sportstudio umsteige. In der Umkleide ziehe ich meine Sportkleidung an und absolviere ein Zirkeltraining, während ich auf meinem Discman eine Prince-CD höre. Weil ich länger nicht trainiert habe, tut mein Körper sich am Anfang schwer. Aber ich muss mich überwinden. Dass der Körper quietscht und kracht und sich wehrt, ist eine ganz normale Reaktion. Ich muss diesen Widerstand einfach überwinden und unterdrücken. Im Rhythmus von »Little Red Corvette« atme ich ein, halte den Atem an und atme wieder aus. Einatmen, anhalten, ausatmen. In regelmäßiger Abfolge. Nacheinander bringe ich meine einzelnen Muskeln bis an die Schmerzgrenze. Der Schweiß läuft, und mein T-Shirt wird nass und schwer. Mehrmals muss ich am Wasserkühler Flüssigkeit tanken.
Während ich eine Runde nach der anderen an den Geräten drehe, wandern meine Gedanken immer wieder zu Saeki-san. Ich muss dauernd daran denken, dass ich mit ihr geschlafen habe. Ich befehle mir, an nichts zu denken, aber das ist gar nicht so einfach. Ich versuche, mein Bewusstsein ganz auf meine Muskeln zu konzentrieren, mein Ich im monotonen Rhythmus aufgehen zu lassen. Die gleichen Geräte, die gleiche Belastung, die gleiche Anzahl. »Sexy Motherfucker«, singt mir Prince in die Ohren. In meiner Penisspitze ist ein leichter Schmerz zurückgeblieben. Beim Pinkeln brennt es in der Harnröhre. Die Eichel ist gerötet. Mein Penis, dessen Vorhaut sich gerade erst geschält hat, ist noch jung und empfindlich. Mein Kopf droht zu platzen vor wilden erotischen Fantasien, der unergründlichen Stimme von Prince und den Zitaten aus allen möglichen Büchern.
In der Dusche wasche ich mir den Schweiß ab, ziehe frische Unterwäsche an und fahre mit dem Bus zum Bahnhof zurück. Da ich hungrig bin, esse ich etwas Einfaches in einem Lokal in der Nähe. Dabei fällt mir auf, dass es dasselbe ist, in dem ich am Tag meiner Ankunft in Takamatsu gewesen bin. Wie viele Tage sind inzwischen vergangen? In der Bibliothek wohne ich
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