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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Freund.«
    »Jawohl, Herr Hoshino?«
    »Mit dir wird es nie langweilig. Es gibt zwar jede Menge Unsinn, aber Langeweile kommt nicht auf.«
    »Besten Dank für dieses Kompliment. Sie sind sehr freundlich. Aber, Herr Hoshino?«
    »Ja?«
    »Ehrlich gesagt, Nakata weiß nicht, wie das ist – Langeweile. «
    »Dir ist wohl noch nie langweilig gewesen?«
    »Nein, noch kein Mal.«
    »Aha. Hätte ich mir denken können.«

37
    Unterwegs halten wir in einer größeren Stadt an, essen eine Kleinigkeit und gehen wie beim letzten Mal in einen Supermarkt, um Lebensmittel und Mineralwasser einzukaufen. Über die ungeteerte Piste fahren wir zur Hütte hinauf, die wir im gleichen Zustand vorfinden, in dem wir sie vor einer Woche verlassen haben. Ich öffne das Fenster und lasse die eingesperrte Luft hinaus. Dann räume ich die Lebensmittel ein.
    »Ich würde gern ein bisschen schlafen.« Oshima gähnt, wobei er sich beide Hände vors Gesicht hält. »Gestern Nacht habe ich fast kein Auge zugetan.«
    Er muss wirklich sehr müde sein, denn er macht sich gleich das Bett, legt sich, wie er ist, hinein, dreht sich zur Wand und ist auch schon eingeschlafen. Ich koche mit Mineralwasser Kaffee und fülle ihm seine Thermosflasche. Anschließend mache ich mich mit den beiden leeren Plastikkanistern auf, um Wasser vom Bach zu holen. Auch der Wald ist noch genauso wie letztes Mal. Das Gras duftet, die Vögel zwitschern, der Bach murmelt, der Wind streicht durch die Äste und lässt die Blätter der Bäume flimmern. Die Wolken, die über mich hinwegziehen, erscheinen ganz nah. Alles ist mir so vertraut, dass ich es als natürlichen Teil von mir empfinde.
    Während Oshima noch schläft, setze ich mich mit einem Stuhl auf die Veranda, trinke Tee und lese ein Buch über Napoleons Russischen Feldzug von 1812. In diesem ungeheuren Krieg, der praktisch kaum eine Bedeutung hatte, verloren etwa vierhunderttausend französische Soldaten in dem weiten, fremden Land ihr Leben. Die Schlachten waren natürlich brutal und grausam. Es gab nur wenige Ärzte, und wegen des Mangels an Medikamenten starb ein Großteil der Schwerverwundeten unter größten Qualen die entsetzlichsten Tode. Mehr noch verhungerten oder erfroren, was einen nicht minder brutalen und grausamen Tod bedeutet. Während ich auf der Veranda inmitten der Berge sitze, die Vögel singen höre und Tee trinke, weile ich in Gedanken im Schneetreiben auf einem russischen Schlachtfeld.
    Als ich etwa ein Drittel gelesen habe, ergreift mich Unruhe, ich lege das Buch nieder und gehe hinein, um nach Oshima zu sehen. Auch für eine Person, die sehr fest schläft, wirkt er ein bisschen zu ruhig. Ich spüre keine Präsenz. Er atmet sehr leise unter seiner leichten Decke. Als ich näher herantrete, merke ich, dass sich seine Schultern sehr sachte heben und senken. Während ich so neben ihm stehe und seine Schultern betrachte, fällt mir plötzlich ein, dass Oshima ja eine Frau ist, ein Umstand, der mir nur sehr selten zu Bewusstsein kommt. In der Regel sehe ich ihn als Mann. Was ja vermutlich auch seinem Wunsch entspricht. Seltsamerweise scheint er sich jedoch im Schlaf in eine Frau zurückzuverwandeln.
    Ich gehe wieder auf die Veranda hinaus und lese weiter. Meine Gedanken kehren zu den gefrorenen Leichen auf den Landstraßen bei Smolensk zurück.
    Nachdem Oshima zwei Stunden geschlafen hat, kommt er auf die Veranda und sieht zu seinem Wagen hinüber. Von der Fahrt über die trockene Piste ist der grüne Roadster fast weiß von Staub. Nachdem sich Oshima ausgiebig gestreckt hat, setzt er sich neben mich.
    »Dieses Jahr fällt die Regenzeit spärlich aus«, sagt er, wobei er sich die Augen reibt. »Das ist nicht gut. Wenn die Regenzeit zu trocken ist, haben wir im Sommer in Takamatsu Wassermangel.«
    »Weiß Saeki-san, wo ich jetzt bin?«, frage ich ihn.
    Oshima schüttelt den Kopf. »Ehrlich gesagt, habe ich ihr noch nichts davon erzählt. Vermutlich weiß sie nicht mal, dass ich diese Hütte habe. Ich finde es am besten, wenn sie so wenig wie möglich weiß. Dann muss sie sich nicht verstellen und wird auch in nichts verwickelt.«
    Ich nicke. Das entspricht auch meinen Wünschen.
    »Sie hat schon genug Schweres erlebt«, sagt Oshima.
    »Ich habe ihr erzählt, dass mein Vater gerade gestorben ist«, sage ich. »Auch dass er ermordet wurde. Aber dass ich von der Polizei gesucht werde, habe ich ihr nicht gesagt.«
    »Ich habe aber das Gefühl, dass sie trotzdem im Großen und Ganzen Bescheid weiß, denn sie

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