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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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lassen. Wenn ich das tue, findet Nakata vielleicht keine richtige Ruhe. Er konnte es nie leiden, wenn etwas nicht ordentlich zu Ende geführt wurde. Das war sein Charakter. Nur weil seine Batterie vorzeitig schlappgemacht hat, hat er es nicht geschafft, seine letzte wichtige Aufgabe zu erledigen. Hoshino zerdrückte die Aluminiumdose in der Hand und warf sie in den Papierkorb. Da er noch durstig war, ging er wieder in die Küche, nahm eine zweite Dose Pepsi aus dem Kühlschrank und öffnete sie.
    Vor seinem Tod hat Nakata gesagt, dass er eines Tages gern lesen lernen würde, um in die Bücherei zu gehen und alle Bücher zu lesen, die ihm gefielen. Aber nun ist er gestorben, ohne dass sich das erfüllt hat. Natürlich kann es sein, dass er nach seinem Tod in eine andere Welt gegangen ist, wo er der normale Nakata ist und lesen kann. Solange er auf dieser Welt war, konnte er es jedenfalls bis zum Schluss nicht. Im Gegenteil, am Ende hat er sogar Geschriebenes verbrannt, hat die ganzen Worte in dem Manuskript restlos ins Nichts geschickt. Das ist Ironie. Deshalb muss ich doch wenigstens seinen letzten Willen erfüllen und den Stein vor den Eingang schieben. Das ist von großer Bedeutung. Schließlich bin ich nicht mal mehr mit ihm ins Kino und ins Aquarium gegangen.
    Nachdem Hoshino die zweite Dose Pepsi Light ausgetrunken hatte, ging er zum Sofa, bückte sich und hob den Stein versuchsweise an. Er war nicht schwer. Leicht war er auch nicht, aber mit ein bisschen Kraft problemlos zu heben. Er hatte ungefähr das gleiche Gewicht wie damals, als Hoshino ihn mit Colonel Sanders aus dem Schrein geholt hatte. Also in etwa so schwer wie einer dieser handlichen Steine, die man auf Sauergemüsefässer legt.
    Das heißt, er ist im Augenblick nur ein gewöhnlicher Stein, dachte der junge Mann. Nur wenn er den Eingang hütet, wird er so schwer, dass man ihn mit normalem Kraftaufwand nicht hochkriegt. Wenn er leicht ist, ist er bloß ein gewöhnlicher Stein. Passiert irgendwas Besonderes, wird er ungewöhnlich schwer und übernimmt die Rolle des »Eingangssteins«. Wie zum Beispiel bei einem Gewitter über der Stadt …
    Der junge Mann trat ans Fenster, zog den Vorhang beiseite und schaute vom Balkon in den Himmel. Der Himmel war wie am Vortag mit dunklen, grauen Wolken verhangen. Aber nach Regen sah es nicht aus. Auch ein Gewitter war nicht im Anzug. Er lauschte und sog den Geruch der Luft ein, aber es war nichts Ungewöhnliches festzustellen. Das Motto der Welt schien heute »Erhaltung des Status quo« zu lauten.
    »Tja, alter Freund«, sagte er zu dem toten Nakata, »letzten Endes bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als brav mit dir in der Wohnung zu warten, bis dieses Besondere eintritt. Ich habe keine Ahnung, was das sein könnte, oder wenigstens, wann es kommt. Außerdem haben wir auch noch Juni, und wenn wir dich so liegen lassen, wirst du ganz allmählich verwesen. Das ist natürlich mit Geruch verbunden. Vielleicht hörst du das nicht gern, aber das ist der Lauf der Natur. Je später ich die Polizei benachrichtige, desto ungünstiger wird meine Lage. Ich werde so lange durchhalten, wie ich kann, aber ich bitte dich auch um Verständnis für meine Situation.«
    Aber natürlich kam keine Antwort.
    Der junge Mann ging ziellos in der Wohnung umher. Genau! Das war’s! Vielleicht würde Colonel Sanders sich melden. Der wusste doch bestimmt, was mit dem Stein zu tun war. Und wäre imstande, ihm einen herzerwärmenden, aufschlussreichen Rat zu geben. Aber Hoshino konnte das Telefon anstarren, wie er wollte, es wollte einfach nicht läuten. Es hütete die Stille. Dabei machte der stumme Apparat einen übertrieben in sich gekehrten Eindruck. Weder klopfte es an der Tür noch kam Post. Nicht eine außergewöhnliche Sache passierte. Das Wetter war nicht ungewöhnlich, und es gab auch keine Vorboten. Eintönig verstrich die Zeit. Es wurde Mittag, und der Nachmittag ging wie von selbst in den Abend über. Die Zeiger der elektrischen Wanduhr glitten über die Oberfläche der Zeit wie Wasserkäfer über einen See, derweil der tote Nakata weiter auf dem Bett lag. Aus irgendeinem Grund hatte Hoshino keinen Appetit. Am Abend trank er eine dritte Dose Pepsi und knabberte pflichtschuldig ein paar Kräcker.
    Gegen sechs Uhr setzte er sich aufs Sofa, nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Er sah sich die NHK-Nachrichten an, aber keine der Neuigkeiten erregte seine Aufmerksamkeit. Es war ein Tag wie jeder andere. Als die

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