Kafka am Strand
untersuchen, und ich hatte mehrmals Gelegenheit, Sie zu sehen und mit Ihnen zu sprechen.
Seit damals habe ich mich, sooft ich Ihren werten Namen in Zeitungen und Zeitschriften las, mit großer Bewunderung an Sie und Ihre kompetente Art, sich auszudrücken und zu handeln, erinnert. Zudem habe ich einige Ihrer Arbeiten gelesen und bewundere die Tiefe Ihrer Einsicht und Ihre umfassende Kenntnis sehr. Ihre konsequente Weitsicht, dass das Dasein des einzelnen Menschen auf dieser Welt sehr einsam ist, wir aber im tiefsten Grund unseres Bewusstseins alle miteinander verbunden sind, hat mich völlig überzeugt. Im Laufe meines Lebens habe ich häufig selbst so empfunden.
Doch nun möchte ich zu meinem eigentlichen Anliegen kommen.
Seit damals habe ich immer im selben Ort an der Grundschule unterrichtet, bis mich vor einigen Jahren meine Gesundheit im Stich gelassen hat und ich länger im Städtischen Krankenhaus von Kofu liegen musste. In dieser Zeit ließ ich mich pensionieren. Ein Jahr lang wurde ich immer wieder stationär und ambulant behandelt, doch schließlich erholte ich mich vollkommen, so dass ich ganz aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Seither leite ich in unserem Ort eine kleine Nachhilfeschule. Mittlerweile sind die Kinder der Kinder, die ich einst unterrichtete, meine Nachhilfeschüler geworden. So banal es auch klingt, die Monate und Tage vergehen wie im Flug.
Im Krieg habe ich meinen geliebten Mann und meinen Vater verloren, und in den harten Zeiten danach ist auch meine Mutter gestorben. Während meiner kurzen Ehe habe ich keine Kinder bekommen und stehe seither völlig allein da. Ich kann nicht sagen, dass mein Leben besonders glücklich war, aber als Lehrerin hatte ich doch lange die Möglichkeit, Kinder im Klassenzimmer großzuziehen, und konnte so ein erfülltes Leben führen. Dafür bin ich dem Himmel dankbar. Ohne meinen Beruf als Lehrerin hätte ich das Leben vielleicht nicht ertragen.
Dass ich mich jetzt so unvermittelt an Sie wende, liegt daran, dass ich jenen Vorfall in den Bergen im Herbst Showa 19 niemals ganz vergessen konnte. Obwohl inzwischen achtundzwanzig Jahre vergangen sind, steht mir alles noch so deutlich vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Die Erinnerung will mich einfach nicht loslassen und begleitet mich ständig wie ein Schatten. Sie hat mir unzählige schlaflose Nächte bereitet und sucht mich selbst im Traum noch heim.
Manchmal ist mir sogar, als ob mein ganzes Leben vom Nachklang dieses Ereignisses beherrscht sei. Sooft ich einem der betroffenen Kinder begegne (sie sind inzwischen schon Mitte Dreißig, und die Hälfte von ihnen wohnt noch hier im Ort), frage ich mich, ob der Vorfall von ihnen oder von mir selbst herbeigeführt worden sein könnte. Da er der einzige seiner Art war, könnte doch etwas an unseren Körpern oder in uns ihn beeinflusst haben. Anders kann es doch gar nicht sein. Natürlich habe ich keine Ahnung, welche konkrete Form ein solcher Einfluss gehabt haben oder wie groß er gewesen sein könnte.
Der Vorfall wurde damals, wie Sie wissen, auf Befehl des Militärs nicht öffentlich gemacht. Und die Untersuchungen durch die amerikanischen Besatzungstruppen nach dem Krieg wurden abermals unter Geheimhaltung durchgeführt. Offen gesagt, ich sehe im Grunde kaum einen Unterschied zwischen dem Vorgehen des japanischen und des amerikanischen Militärs. Auch nach dem Ende der amerikanischen Besatzung und der Aufhebung der Informationssperre erschienen darüber keine Artikel in Zeitungen und Zeitschriften. Es war einfach irgendein Vorfall, der sich vor vielen Jahren ereignet hatte. Schließlich war ja auch niemand dabei ums Leben gekommen.
Daher weiß ein Großteil der Menschen nicht einmal, dass sich ein solcher Vorfall überhaupt ereignet hat. Allerdings sind im Krieg so viele schreckliche Dinge geschehen, die uns nie zu Ohren kamen. Angesichts der Millionen von Menschen, die ihr Leben verloren haben, sind ein paar Kinder, die irgendwo im Gebirge ohnmächtig werden, natürlich von geringem Interesse. Selbst hier in der Gegend erinnern sich nicht viele an den Vorfall, und die, die sich erinnern, sind anscheinend wenig geneigt, darüber zu sprechen. Wir sind ein kleiner Ort, für die Betroffenen war es kein erfreuliches Ereignis, und darum möchten sie wahrscheinlich schlicht und einfach am liebsten nicht mehr daran rühren.
Die ganze Sache ist also fast völlig vergessen. So wie auch der große Krieg und das Schicksal der Menschen, das nicht
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