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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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nicht nur zu meinem Vergnügen um. So verrückt bin ich nicht. Immerhin ist es ziemlich aufwendig, so viele Katzen zu fangen und zu töten, und ich habe meine Zeit auch nicht gestohlen. Ich töte die Katzen, weil ich ihre Seelen sammle, um eine besondere Flöte daraus herzustellen. Auf ihr spiele ich, um größere Seelen zu fangen. Aus diesen größeren Seelen mache ich wiederum größere Flöten, bis ich am Ende eine große kosmische Flöte anfertigen kann. Doch zuerst sind die Katzen dran. Ihre Seelen muss ich fangen. Das ist mein Ausgangspunkt. Alles muss der Reihe nach geschehen. Die Reihenfolge korrekt einzuhalten ist ein Ausdruck von Respekt. Denn schließlich haben wir es hier ja mit Seelen zu tun, nicht mit Ananas oder Melonen. Nicht wahr?«
    »Jawohl«, erwiderte Nakata, aber eigentlich verstand er kein Wort. Flöte? Shakuhachi oder Querflöte? Und wie klang sie? Und überhaupt, was waren Katzenseelen? Diese Frage ging weit über Nakatas Horizont. Er wusste nur, dass er unbedingt die gefleckte Katze Goma finden und zu den Koizumis zurückbringen musste.
    »Jedenfalls willst du Goma nach Hause zurückbringen«, sagte Johnnie Walker, als könne er Nakatas Gedanken lesen.
    »Jawohl.«
    »Das ist deine Mission«, sagte Johnnie Walker. »Wir alle folgen einer Mission im Leben. Das ist ganz natürlich. Bestimmt hast du noch nie den Klang einer Flöte aus den Seelen gefangener Katzen gehört.«
    »Nein.«
    »Natürlich nicht. Unsere Ohren können sie nicht hören.«
    »Eine Flöte, die man nicht hören kann?«
    »Genau. Selbstverständlich höre ich sie, denn ich muss sie ja hören können. Doch ihr Klang ist für die Ohren gewöhnlicher Menschen nicht vernehmbar. Selbst wenn man diese Flöte hört, weiß man nicht, dass man sie hört. Man kann sich nicht daran erinnern. Es ist eine wundersame Flöte. Womöglich könntest du sie sogar hören. Wenn ich sie hier hätte, könnten wir es ausprobieren, aber leider habe ich sie nicht dabei«, sagte Johnnie Walker. Dann hob er einen Finger, als sei ihm etwas eingefallen. »Eigentlich habe ich vor, jetzt alle Katzen zu köpfen. Es wird allmählich Zeit, die Ernte einzubringen. Alle Katzen, die auf dem Baugelände zu fangen waren, habe ich eingefangen, höchste Zeit also, das Revier zu wechseln. Auch die gefleckte Goma, die du suchst, gehört zu meiner Ernte. Aber wenn ich ihr den Kopf abschneide, kannst du sie natürlich nicht zu den Koizumis zurückbringen, stimmt’s?«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Nakata. Er konnte den Koizumis ja keinen abgeschnittenen Katzenkopf zurückbringen. Wenn die beiden kleinen Mädchen das sähen, würden sie vielleicht nie mehr etwas essen.
    »Ich will Goma den Kopf abschneiden. Du willst, dass ich es nicht tue. Unsere Aufgaben und Interessen kollidieren. Das geschieht häufig auf der Welt. Wir sollten ein Geschäft machen. Also, Nakata, wenn du etwas Bestimmtes für mich tust, übergebe ich dir Goma heil und gesund.« Nakata hob die Hand und strich sich über seine grauen Stoppeln. Wie immer, wenn er ernsthaft über etwas nachdenken musste.
    »Etwas, das Nakata kann?«
    »Das habe ich dir doch vorhin schon ausführlich erklärt«, sagte Johnnie Walker mit einem unangenehmen Lächeln.
    »Ja, stimmt«, erinnerte sich Nakata. »Haben Sie. Alles schon erklärt. Entschuldigung.«
    »Meine Zeit ist knapp. Kommen wir gleich zur Sache. Ich will, dass du mich tötest. Du sollst mir das Leben nehmen.«
    Die Hand auf dem Kopf sah Nakata Johnnie Walker lange an.
    »Nakata soll Sie töten, Herr Johnnie Walker?«
    »Genau«, sagte Johnnie Walker. »Ehrlich gesagt, ich habe das Leben satt, Nakata. Ich lebe schon sehr lange. So lange, dass ich vergessen habe, wie alt ich bin. Ich will nicht mehr weiterleben. Außerdem habe ich genug davon, Katzen zu töten. Aber solange ich am Leben bin, muss ich Katzen töten. Und ihre Seelen sammeln. Sie ordentlich von eins bis zehn aufreihen und wenn ich bei zehn angekommen bin, wieder bei eins anfangen. Das wiederholt sich bis in die Unendlichkeit. Mir reicht’s, ich bin müde. Niemandem würde es gefallen, das zu tun. Geachtet wird man dafür auch nicht. Da es sich aber um einen Vertrag handelt, kann ich nicht von mir aus beschließen, damit aufzuhören. Und selber töten kann ich mich auch nicht. Das gehört ebenfalls zu diesem Vertrag. Ich darf nicht Selbstmord begehen. Von solchen Klauseln gibt es noch mehrere. Wenn ich sterben will, kann ich nur jemanden bitten, mich zu töten. Deshalb möchte ich, dass du

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