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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mich umbringst. Du sollst mich aus Angst und Hass töten. Zuerst fürchtest du mich, dann hasst du mich. Und dann tötest du mich.«
    »Wieso –«, sagte Nakata. »Wieso Nakata? Er hat noch nie einen Menschen getötet. So was macht Nakata nicht.«
    »Das weiß ich doch. Du hast noch nie einen umgebracht und es auch noch nie vorgehabt. So was liegt dir fern. Aber auf der Welt gibt es Räume, in denen eine solche Logik nicht zählt. Und es gibt Situationen, in denen man etwas tun muss, ob es einem liegt oder nicht. Das musst du begreifen. Zum Beispiel im Krieg. Du weißt doch, was Krieg ist?«
    »Jawohl. Vom Hörensagen. Als Nakata geboren wurde, war gerade ein großer Krieg.«
    »Wenn ein Krieg beginnt, werden Soldaten eingezogen. Die Soldaten ziehen mit Gewehren ins Feld und müssen andere Soldaten töten. So viele wie möglich. Ob es jemandem gefällt, Menschen zu töten oder nicht, spielt keine Rolle. Er muss es tun. Sonst wird er von ihnen getötet.«
    Johnnie Walker richtete die Spitze seines Zeigefingers auf Nakatas Brust. »Peng!«, sagte er. »Das ist der Kern der menschlichen Geschichte.«
    »Also kann der Herr Gouverneur Nakata zum Soldaten machen und ihm befehlen: Töte die Leute?«
    »Genau, der Gouverneur kann das befehlen: Töte Menschen!«
    Nakata dachte darüber nach, aber konnte in die Gedanken keine Ordnung bringen. Warum sollte der Gouverneur ihm befehlen, Leute zu töten?
    »Letzten Endes musst du es dir überlegen. Es ist ein Krieg. Und du bist Soldat. Du musst dich hier und jetzt entscheiden. Entweder töte ich die Katzen, oder du tötest mich. Eins von beidem. Du triffst hier und jetzt deine Wahl. Natürlich ist das, von deiner Warte aus gesehen, eine unfaire Alternative. Aber sind nicht die meisten Alternativen auf der Welt unfair?«
    Johnnie Walker schlug hart mit der Hand an seinen Zylinder, wie um sich zu überzeugen, dass er noch richtig auf seinem Kopf saß.
    »Nur eins noch, zu deinem Trost – falls du überhaupt Trost benötigst: Ich wünsche mir den Tod von ganzem Herzen. Ich flehe dich geradezu an, mich zu töten. Du tust mir einen Gefallen. Deshalb brauchst du auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn du mich tötest. Ich sehne mich nach dem Tod. Es ist nicht so, dass du einen umbringst, der gar nicht sterben will. Man könnte es eher eine gute Tat nennen.«
    Nakata wischte sich mit der Hand die Schweißtropfen ab, die sich an seinem Haaransatz gebildet hatten. »Aber Nakata kann so was nicht. Auch wenn Sie ihm sagen, dass er Sie töten soll. Er weiß ja gar nicht, wie.«
    »Verstehe«, sagte Johnnie Walker scheinbar bestürzt. »Da ist was dran. Du weißt nicht, wie. Immerhin ist es das erste Mal, dass du einen Menschen tötest … Ja, klar. Das leuchtet mir ein. Wenn du erlaubst, zeige ich dir eine Methode. Der Trick – Nakata, hör gut zu – besteht darin, nicht zu zögern. Ohne zu überlegen schleunigst zupacken – das ist die ganze Kunst des Tötens. Es sind zwar keine Menschen, aber an ihnen zeige ich dir, wie so was geht. Daraus kannst du was lernen.«
    Johnnie Walker erhob sich und holte aus dem Dunkel neben dem Schreibtisch einen großen Lederkoffer hervor. Er stellte ihn auf den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, öffnete ihn und zog, vergnügt vor sich hinpfeifend, wie bei einem Zaubertrick eine Katze daraus hervor. Nakata kannte sie nicht. Es war ein grau getigerter Kater, noch jung, gerade erst erwachsen geworden. Seine Gliedmaßen hingen schlaff herunter, aber die Augen waren geöffnet, und er schien bei Bewusstsein zu sein. Sein Liedchen pfeifend, packte Johnnie Walker die Katze mit beiden Händen, wie man einen gefangenen Fisch hält, und hielt sie hoch. Er pfiff das »Heiho« der Sieben Zwerge aus dem Film Schneewittchen von Walt Disney.
    »In dem Koffer sind fünf Katzen. Alle habe ich auf dem Baugelände gefangen. Ganz frisch. Katzen, frisch gepflückt, direkt vom Erzeuger. Sie bekommen eine Spritze, die sie lähmt. Keine Betäubung. Deshalb sind ihre Augen offen. Und da sie nicht schlafen, fühlen sie und empfinden Schmerzen. Aber weil ihre Muskeln paralysiert sind, können sie sich nicht bewegen. Nicht einmal den Kopf drehen. Es wäre doch zu unangenehm, wenn sie toben und kratzen würden. Ich nehme also jetzt ein Messer, schneide ihnen den Bauch auf, nehme ihnen die noch schlagenden Herzen heraus und schneide dann ihre Köpfe ab. Vor deinen Augen. Ihr Blut wird nur so in Strömen fließen. Sie werden große Schmerzen leiden. Würde man dir den Bauch

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