Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)
Mitgiftverhandlungen, Verlobung, öffentliche Hochzeit, ›Vollzug‹ der Ehe. Es gab Nebengleise – die etwa durch diskret angemietete Zimmer führen konnten, so machte es Brod –, doch Richtung und Endstation blieben stets dieselben. Wer dort nicht hinwollte, dem blieb nur eine Notbremsung, und das ging selten ohne Skandal ab, zwang sie doch auch alle anderen Beteiligten – und das waren manchmal Dutzende – zum Aussteigen.
Dass diese Ritualisierung und Verrechtlichung der Sexualität ihre eigene Komik hervorbrachte, empfanden schon die Zeitgenossen: In einer urbanen Welt, in der es Tango, Damentennis und Inserate für Gummiwaren gab, wirkten jene zählebigen Präliminarien und Maßregeln schon beinahe skurril. Doch über ›Unbescholtenheit‹, ›Kranzgeld‹ und ›eheliche Pflichten‹ vermochten sich unbefangen nur die Stammtische der Junggesellen zu amüsieren; der Spaß hörte auf, sobald man selbst sich ›erklärt‹ hatte. Denn vor Gericht wurde die ›Erklärung‹ eines prospektiven Bräutigams nicht anders bewertet als der Handschlag eines Pferdehändlers, und damit konnte dem schwerelosen Überschwang noch des verliebtesten Paares unvermittelt rechtliche Relevanz zuwachsen.
Auch Kafka hatte sich an jenem Gedicht vom chinesischen Gelehrten, der über seinen Büchern die Freundin vergisst, nur so lange erheitert, als er darin noch ein intimes Katz-und-Maus-Spiel sehen konnte, dessen Ausgang ohnehin feststeht: Die Geliebte ruft zu Bett: Das ist so, wie wenn die Ehefrau zu Tisch ruft. Arglos hatte er dieses Gedicht abgeschrieben und an Felice geschickt. Dann plötzlich fiel ihm ein, dass dieses Spiel sogleich ein Ende hätte, würde der Büchermensch seine Freundin heiraten. Mit einer Ehefrau spielt man nicht; sie nimmt eine Position ein, einen Rang, der ihr »Recht« verschafft, und dieses Recht ihr zu verweigern bedeutet Kampf. Natürlich dachte Kafka hier nicht an Paragraphen, auch wenn ihm als Jurist die entsprechende Begrifflichkeit nahe genug lag. Er dachte an ein weibliches ›Lebensrecht‹, dem der Ehemann Genüge zu tun hat. Das Grauen jedoch, das ihn bei dieser Vorstellung anrührte, lässt sich allein mit moralischen Skrupeln kaum plausibel machen; auch nicht mit Kafkas Angst um sein »Schreiben«. {307} Dieses Grauen sickerte vielmehr aus einem ungreifbaren, aber umso wirkungsmächtigeren Gesetz , unter dessen Herrschaft noch das Intimste zum Gegenstand öffentlichen Eifers werden konnte.
Dieser machtvolle Zugriff auf den Körper ist heute in demokratisch verfassten Ländern vielfach gemildert, abgefedert und ideologisch verschleiert. Nur noch selten artikuliert der Staat offen sein Interesse an einer in halbwegs geordneten Bahnen verlaufenden Reproduktion seiner Bürger, und allenfalls die juristischen Auseinandersetzungen um Homosexualität und Abtreibung erinnern daran, dass dieses Interesse nach wie vor wirksam ist. Zur Zeit Kafkas hingegen schnitt das Gesetz den Menschen noch buchstäblich ins Fleisch, und mehr als das, es wohnte im Innersten der Sprache selbst. »Meine eigentliche Furcht … ist die, dass ich Dich niemals werde besitzen können.« Besitzen . Er spricht wie ein Händler. Aber wie sonst hätte er es sagen sollen? Noch mehr als eine Woche später fragt er Felice, ob sie denn wirklich verstanden habe, um was es geht – doch vergebens sucht er nach Worten, die nicht verletzen und dennoch alle Zweifel ausräumen. Es gibt solche Worte nicht. Denn eine erotische Kultur weitab von ›Besitz‹ und ›Vollzug‹, eine Kultur, unter deren Schutz eine unbefangene, freimütige und dennoch liebevolle Verständigung denkbar wäre, existiert nicht. Der Sex ist stumm. Und in diesem Schweigen haust das Gesetz.
Diese sprachlose Forderung an den Körper ist es, die impotent macht, und keine Rede kann davon sein, dass Kafka hier etwa besonders labil gewesen wäre. Dem viel weniger skrupulösen Brod erging es nicht anders, auch er ›versagte‹ bisweilen, wenn eine Prostituierte es versäumte, den Anschein von Intimität zu erzeugen, wenn sie »nicht lieb« war, wie er es im Tagebuch formulierte. Nicht lieb: das heißt, wenn sie ihn daran erinnerte, dass er nun, da er doch schon bezahlt hatte, seine Rechte wahrnehmen musste , weil das Gesetz des Warentauschs es so will. Doch nicht das Geld ist es, das abkühlt, sondern die soziale Form, die den Sex isoliert und zu einer abrufbaren Leistung erniedrigt. Darum standen vor demselben Problem auch öffentlich verbundene, selbst
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