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Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Titel: Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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zu entwerfen.
»Es scheint so arg, Junggeselle zu bleiben, als alter Mann unter schwerer Wahrung der Würde um Aufnahme zu bitten, wenn man einen Abend mit Menschen verbringen will, krank zu sein und aus dem Winkel seines Bettes wochenlang das leere Zimmer anzusehn, immer vor dem Haustor Abschied zu nehmen, niemals neben seiner Frau sich die Treppe hinaufzudrängen, in seinem Zimmer nur Seitentüren zu haben, die in fremde Wohnungen führen, sein Nachtmahl in einer Hand nach Hause zu tragen, fremde Kinder anstaunen zu müssen und nicht immerfort wiederholen zu dürfen: ›Ich habe keine‹, sich im Aussehn und Benehmen nach ein oder zwei Junggesellen der Jugenderinnerungen auszubilden.
So wird es sein, nur daß man auch in Wirklichkeit heute und später selbst dastehen wird, mit einem Körper und einem wirklichen Kopf, also auch einer Stirn, um mit der Hand an sie zu schlagen.«
    DAS UNGLÜCK DES JUNGGESELLEN lautet der Titel dieses Prosastücks; verfasst hat es Kafka bereits im November 1911, Wochen vor seiner Lebensbilanz im Tagebuch. Es ist ein Selbstporträt im strengen Sinn des Wortes: nicht ›so werde ich sein‹, sondern ›so werde ich aussehen‹ . Ausgespart bleibt alles, was die Einsamkeit kompensieren könnte: Dieser imaginierte Junggeselle ist völlig unschöpferisch, er schreibt nicht, liest nicht, musiziert nicht, und über klägliche Hobbys werden auch Kafkas künftige Helden, allesamt Junggesellen, niemals hinauskommen. Denn nichts vermag an die Stelle des Lebens zu treten.
    Kafka hält sich einen Spiegel vor, doch er versagt sich jeden Appell. Er weiß, die soziale Gemeinschaft ist keineswegs verpflichtet, sein {38} »Unglück« zu lindern. Denn die Gemeinschaft spricht mit der Stimme des Lebens selbst, der Junggeselle aber hat dem Leben gekündigt. Diese Drohung, eines Tages nicht mehr als Mitglied der menschlichen Familie betrachtet zu werden, stand Kafka längst vor Augen und war keineswegs die hypochondrische Marotte des Jünglings, der sich Sorgen um seine Rente macht. Ein ›älterer‹ oder ein ›alter‹ Junggeselle: Darunter verstand man nicht unbedingt einen biologisch alten Mann, sondern jemanden, der den richtigen Zeitpunkt versäumt hatte, eine Familie zu gründen. Blumfeld, jener »ältere Junggeselle«, dessen Aufstieg zu seiner trostlosen Kammer Kafka in einem längeren Fragment schildern wird, hat zwanzig Jahre Büroarbeit hinter sich und rechnet mit weiteren drei Jahrzehnten Einsamkeit: ein etwa Vierzigjähriger also. Noch in Hofmannsthals DER SCHWIERIGE, entstanden 1921, wird der neununddreißigjährige Protagonist als »ältlicher Junggeselle« bezeichnet: ein Brandzeichen, eine Art sozialer Schuld, die früh zu wachsen beginnt und niemals vergeben wird.
    Kafka hatte Zweifel, so alt überhaupt je zu werden. Da er mit demographischen Statistiken häufig zu tun hatte, wusste er, dass er sich der Mitte seines Lebens näherte; es war hohe Zeit, an die zweite Hälfte zu denken. Doch »mit einem solchen Körper lässt sich nichts erreichen«, notierte er im Tagebuch nur eine Woche nach dem UNGLÜCK DES JUNGGESELLEN. [19]   Er empfand sich als schwächlich, störanfällig, zermürbt von fortwährenden, über den ganzen Körper wandernden Spannungen und Insuffizienzen, und dass er kein Mann in der Blütezeit seiner Entwicklung war, sah anscheinend jeder ihm an. Kafka wirkte jugendlich, es kam vor, dass man ihn, den promovierten Beamten, für einen Schüler hielt. Das war komisch, aber es war auch widernatürlich. Ein Junggeselle in Gestalt eines Kindes: ein soziales Monstrum.
    Kafka hat dieses Brandzeichen nicht nur bereitwillig empfangen, er hat sich auch in solchem Maße damit identifiziert, dass ein radikaler Wechsel der Lebensperspektive ihm schließlich undenkbar wurde. Er war noch nicht dreißig, da er das Schreckbild des älteren Junggesellen auf sich selbst projizierte. Die Furcht davor, bis ans Ende allein zu bleiben, schlug um in die Gewissheit, dass er nicht die Kraft hatte, diesem Schicksal auszuweichen. Dabei entging ihm keineswegs das Moment von Autonomie, das die Gemeinschaft insgeheim denen neidet, die nur für sich selbst sorgen – es war ja keineswegs ausgemacht, dass {39} Junggesellen und ›alte Jungfern‹ allesamt so freudlose, blutleere und lächerliche Wesen waren, wie die Witzblätter sie gern zeichneten. Doch es war ein fundamentales Gefühl der Leere, das Kafka bedrängte, die Furcht, sein Leben aus dem Leben selbst hinauszusteuern, und er ahnte, dass

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