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Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Titel: Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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hintergründig angesichts dieses Engagements: Gewiss ist es erfrischend, die eigene geistige Beweglichkeit und Unversehrtheit zu spüren (»Ich habe fast gar nicht gelacht, sondern war nur ganz aufgeweckt.«), aber belebend kann es auch sein, einem harmlosen, von Selbstzweifeln nicht im mindesten behelligten Menschen zuzuhören, um sich ein wenig mit ihm zu identifizieren. [196]  
    Das gilt erst recht für die eigentümliche Begegnung mit Johannes Schlaf in Weimar, wenige Monate später. Schlaf, der Avantgardist, eine vergehende Berühmtheit, mittlerweile fünfzig Jahre alt und literarisch kaum mehr produktiv, war ganz in eine selbst erdachte geozentrische Kosmologie verstrickt, von deren unabwendbarem Siegeszug er sich neuerlichen, gesteigerten Ruhm erhoffte. Dass all dies bizarrer Unsinn war, mit dem sich Schlaf nur lächerlich machen konnte, war den höflich zuhörenden Besuchern aus Prag selbstverständlich bewusst. Dennoch zieht Kafkas Schilderung im Reisetagebuch, wie zuvor schon sein Bericht über den Prager Rezitator, jegliche Distanz ein, und Kafka spricht mit der Stimme des Gegenübers, ohne den leisesten Anflug von Ironie:
»Sein kleines Fernrohr für 400 M. Zu seiner Entdeckung braucht er es gar nicht, auch Mathematik nicht. Er lebt in vollem Glück. Sein Arbeitsgebiet ist endlos, da seine Entdeckung einmal anerkannt, ungeheuere Folgen in allen Gebieten (Religion, Ethik, Ästhetik u. s. w.) haben wird und er natürlich zuerst zu ihrer Bearbeitung berufen ist.« [197]  
{234}
    Das Glück unbeschädigter Identität. Es ist, als beneide Kafka den methodischen Wahn geradezu um seine Stabilität und Unanfechtbarkeit. Er, der so wählerisch war im Umgang mit Menschen, den das witzelnde Literatengeschwätz so langweilen konnte, dass er die einschlägigen Kaffeehäuser schon zu meiden begann – er starrte gebannt auf die gänzlich vernagelte, doch selbstgenügsame und auf keinen Zuspruch mehr angewiesene Betriebsamkeit eines verirrten Geistes.
    Kafkas Toleranz gegenüber naivstem Sektierertum, dem er während seiner Aufenthalte in Naturheilsanatorien zwangsläufig immer wieder begegnete, gehorchte demselben Impuls. Besonders charakteristisch jene Begegnung mit einem christlichen Landvermesser in der Kuranstalt Jungborn, nur wenige Tage nach dem denkwürdigen Besuch bei Schlaf:
»Ich liege im Gras, da geht der aus der ›Christl. Gemeinschaft‹ (lang, schöner Körper, braungebrannt, spitzer Bart, glückliches Aussehn) von seinem Studierplatz in die Ankleidehütte, ich folge ihm nichtsahnend mit den Augen, er kommt aber, statt auf seinen Platz zurückzukehren, auf mich zu, ich schliesse die Augen, er stellt sich aber schon vor: Hitzer, Landvermesser, und gibt mir 4 Schriftchen als Sonntagslektüre. […] Ich lese ein wenig und gehe dann zu ihm zurück und versuche, unsicher durch den Respekt, den ich vor ihm habe, ihm klarzumachen, warum gegenwärtig keine Aussicht auf Gnade für mich besteht. Darauf redet er 1½ Stunden zu mir […] mit schöner nur aus Wahrhaftigkeit möglicher Beherrschung jedes Wortes. Der unglückliche Goethe, der soviel Existenzen unglücklich gemacht hat. Viele Geschichten. Wie er, Hitzer, dem Vater das Wort verbot, als er in seinem Hause Gott lästerte. […] Er sieht mir an dass ich nahe an der Gnade bin. – Wie ich selbst alle seine Beweise abbreche und ihn an die innere Stimme verweise. Gute Wirkung.« [198]  
    Nicht einmal die Tatsache, dass diese Notizen ausschließlich für Brod bestimmt sind, veranlassen Kafka zu einem Augenzwinkern ironischer Distanz. Geschickt versteht er, wie schon gegenüber dem Rezitator, die Ansprüche des anderen zu entschärfen, und dabei vermeidet er noch jede Kränkung. Die innere Stimme – dagegen kann nicht einmal der christliche Landvermesser etwas haben, wenngleich es ihn von weiteren Missionierungsversuchen nicht abhalten wird. »Gute Wirkung«, schreibt Kafka, und wenn er in den Schriftchen blättert, dann gewiss nicht, um sich erwecken zu lassen. Und doch fällt auch hier wieder das Wort »Glück«; sogar von »Respekt« und »Wahrhaftigkeit« ist die Rede; unverkennbar ist der Ton der Sympathie. Kafka {235} scheint hingerissen, viel traut er diesem Hitzer zu, mehr jedenfalls als dem gebildeten Dr.Schiller, der sich mit seinem Atheismus und seinen Fremdwörtern gegenüber Hitzers Psalmen nur »blamiert«. Und dieses Vertrauen in die Macht schlichter Überzeugungen ist durchaus keine Laune des Augenblicks. Noch Monate später – es ist

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