Kafka: Die Jahre der Erkenntnis (German Edition)
diesen Anhauch des Unseriösen, versuchten sie doch immer wieder emotionale Erwartungen zu wecken, die mit den Büchern, um die es ging, nicht das mindeste zu tun hatten. So wurden die Werke des Nobelpreis trägers Rabīndranāth Tagore (der sich dagegen nicht wehren konnte) als »rechte Weihnachtsbücher« angekündigt, und zu Carl Sternheims NAPOLEON, der in analytischem Stil vorgetragenen Geschichte eines Meisterkochs, fiel Meyer ein: »Als ob man bei Sacher speist, so liest sich die Novelle«, woraufhin ihm der Autor »mit Erschießen« drohte. [29]
Jedem, der die wirtschaftlichen Gepflogenheiten kannte, musste sofort klarwerden, dass eine derart aufwendige Propaganda die herkömmliche Kalkulation des Buchs sprengte. Wer eigentlich würde die Finanzierungslücken stopfen, die Meyer damit aufriss? Die Autoren natürlich, lautete die bestechend einfache Antwort. Tatsächlich war Meyer der erste Verlagsleiter, der es wagte, die Autoren an den Werbekosten ihrer eigenen Bücher zu beteiligen: ein geradezu sensationeller Vorstoß zu einer Zeit, da die wirtschaftliche Bedeutung der Reklame noch bei weitem nicht so hoch eingeschätzt wurde wie heute und Werbebudgets für Verlagsprogramme vielerorts noch {51} gar nicht existierten. Den Betroffenen dies schmackhaft zu machen war eine Aufgabe, der sich Meyer mit Leidenschaft widmete: Überliefert ist, dass er verärgerten Schriftstellern notfalls zum Bahnhof hinterherlief und bis zur letzten Minute auf sie einredete. Mit beträchtlichem Erfolg offenbar. Selbst der finanziell äußerst wachsame Max Brod verzichtete auf ein Viertel des branchenüblichen Honorars, um breitgestreute Inserate für seinen Roman TYCHO BRAHES WEG ZU GOTT zu ermöglichen.
Über literarische Inhalte war mit der notorischen ›Verkaufskanone‹ Meyer natürlich nicht zu reden, eingereichte Arbeiten durchblätterte er allenfalls, und selbst Werktitel prägte er sich offenbar unter dem Kriterium der Verkaufsträchtigkeit ein – noch Jahre später sprach er von Kafkas »Verbrecherkolonie«. Er schärfte den Autoren ein, fleißig Romane zu verfassen – auch Kafkas Romane, von denen er keine Zeile kannte, versprach er zu einem »sensationellen Erfolg« zu führen –, doch Autorenbriefe, in denen es nicht um unmittelbar anstehende Entscheidungen ging, blieben zu Dutzenden unbeantwortet. Selbst mit den Gedichten Werfels, die er doch im Krisenwinter 1914/15 für »die einzige Fettperle auf dem öden Suppenteller von Kurt Wolff« hielt, konnte Meyer wenig anfangen, was er dem Autor, der ja zugleich Kollege war, auch keineswegs verhehlte. [30] Hingegen reagierte Meyer auf Medienereignisse, welche die Beziehungen zum Publikum und damit auch die Verkaufschancen berührten, mit seismographischem Gespür und mit einem ebenso originellen wie naiv-rücksichtslosen Aktivismus.
Nicht anders verhielt er sich jetzt im Fall Kafkas. Auch wenn sich der Entscheidungsprozess heute nicht mehr rekonstruieren lässt: Dass René Schickele, dem Kafkas VERWANDLUNG für seine Zeitschrift eigentlich zu umfangreich war, sich doch noch zu einem Abdruck in den Weißen Blättern entschlossen hatte, ging mit größter Wahrscheinlichkeit auf eine Intervention Meyers zurück. [31] Und dieser wiederum schlug Kafka nun vor, die Erzählung auch als selbständigen Buchtitel in der Reihe ›Der Jüngste Tag‹ drucken zu lassen, und zwar sofort , noch im selben Monat, gefolgt von einer neu gebundenen Ausgabe von BETRACHTUNG. Eine Hektik, die nach dem jahrelangen Schweigen des Verlags doch einigermaßen befremdlich war. Aber Meyer hatte eine einleuchtende Begründung parat: {52}
»Es gelangt demnächst der Fontane-Preis für den besten modernen Erzähler zur Verteilung. Den Preis soll in diesem Jahre, wie wir vertraulich erfahren haben, Sternheim für seine drei Erzählungen: ›Busekow‹, ›Napoleon‹ und ›Schuhlin‹ bekommen. Da aber, wie Ihnen wohl bekannt ist, Sternheim Millionär ist und man einem Millionär nicht gut einen Geldpreis geben kann, so hat Franz Blei, der den Fontane-Preis heuer zu vergeben hat, Sternheim bestimmt, daß er die ganze Summe von ich glaube 800 Mk. Ihnen als dem Würdigsten zukommen läßt, Sternheim hat Ihre Sachen gelesen und ist, wie Sie aus der anliegenden Karte ersehen, ehrlich für Sie begeistert.«
Keine schlechte Nachricht, musste selbst der etwas indignierte Kafka eingestehen. Dass allerdings Meyer ein so bedeutsames Ereignis bloß »vertraulich erfahren« hatte, mochte glauben, wer
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