Kafka: Die Jahre der Erkenntnis (German Edition)
ich hätte glaube ich kein Recht dazu, denn jene notwendige augenblickliche Bedürftigkeit besteht bei mir durchaus nicht.« [35]
So war es. Und Kafka brauchte sich nur die fragenden Gesichter seiner Kollegen und seiner literarisch interessierten Chefs vorzustellen, die genau wussten, was ein Beamter der ›1. Gehaltsstufe der III. Rangsklasse‹ monatlich auf dem Konto hatte. Da hätte es mancher Erklärungen bedurft, wieso man darüber hinaus noch öffentlich Geldgeschenke annahm.
Nicht, dass Kafka dem privilegierten Sternheim den Preis missgönnt hätte: Auch ein reicher Schriftsteller war ja vor den Kümmernissen des Krieges keineswegs sicher. Sternheim, psychisch ohnehin labil, hatte seinen behaglichen Wohnsitz in der Nähe von Brüssel vorläufig aufgeben müssen (was er keineswegs den belgischen Nachbarn, sondern seinen Landsleuten, den deutschen Besatzern, zu verdanken hatte), Aufführungen seiner Bühnenwerke fanden den Widerstand der preußischen Zensur, und vor allem seit seiner Annäherung an den Berliner Kreis der Aktion war Sternheim ein politisches Hassobjekt, das von den militärischen Behörden mit Ausdauer schikaniert wurde. Das alles hatte sich längst auch in Prag herumgesprochen. Dennoch verstimmte Kafka die formlose Art, mit der er über seinen eigenen, sekundären Anteil am Preis unterrichtet wurde. Unglücklich oder nicht: Warum schrieb nicht der Spender selbst ein paar freundliche Worte? Warum nicht wenigstens Franz Blei, der doch Kafka persönlich kannte und der das seltsame Procedere vielleicht eher hätte begründen können? War es am Ende so, dass Sternheim tatsächlich von Blei bloß »bestimmt« worden war?
Von Meyer ließ sich darüber keine genaue Auskunft erlangen, er war an Stilfragen nicht interessiert und versuchte lediglich, Kafkas Bedenken zu zerstreuen, ohne ernsthaft auf sie einzugehen. Dass ein Autor, dem unverhofft das halbe Jahresgehalt eines kleinen Beamten in den Schoß fällt, zur Annahme erst mühsam überredet werden muss, war in seiner Erfahrungswelt ein wohl beispielloser Vorgang. Und wer aus der literarischen Szene – wenn er nicht zu den wenigen schreibenden Millionären zählte – konnte sich eine derartige Verschrobenheit auch {55} leisten? Wahrscheinlich wunderte sich Meyer keinen Augenblick darüber, dass Kafka sich letztendlich doch dazu bereitfand, das Geschenk zu akzeptieren und sogar Sternheim schriftlich zu danken. Was denn sonst? Kafka indessen, der Anerkennung, aber keine Almosen wollte und der seit den Demütigungen in Berlin entschlossen war, seine Selbstachtung um beinahe jeden Preis zu verteidigen – Kafka musste sich überwinden. » … es ist nicht ganz leicht«, klagte er gegenüber Meyer, »jemandem zu schreiben, von dem man keine direkte Nachricht bekommen hat, und ihm zu danken, ohne genau zu wissen wofür.« [36] Und es war, wer weiß, vielleicht nichts als die Furcht vor den Vorwürfen der Freunde, die letztlich den Ausschlag gab. Als aber der geschäftige Meyer, der in den leeren Büros des Kurt Wolff Verlags beinahe Tag und Nacht seinen Dienst versah, vier Wochen später unter der Arbeitsbelastung erstmals zusammenbrach, durfte Kafka sich sagen, dass ihn daran keine Schuld traf.
Ob er von Carl Sternheim je eine Antwort empfing, ist nicht bekannt. Da er für die 800 Mark, die Sternheim ihm schenkte, augenblicklich keine Verwendung hatte, legte er sie in Kriegsanleihen an. Es war die einzige literarische Ehrung, die Kafka jemals zuteil werden sollte. Aber das konnte er noch nicht wissen.
Es ist der vielleicht signifikanteste Ausdruck der Fremdheit, die Kafka auf seine Zeitgenossen ausstrahlte, dass beinahe alle Versuche, ihn in seiner Arbeit zu bestärken, zu motivieren, ihn gar zu ›loben‹, auf sonderbare Weise in die Irre gingen. Gewiss, als »Hans im Glück« gepriesen zu werden von einem Verlagsdirektor, der doch wenigstens eine vage Vorstellung vom geistigen Profil seines Autors hätte haben müssen – das war noch unter der gewöhnlichen grausamen Ironie zu verbuchen, die an der Reibungsfläche von Leben und Literatur immer wieder aufblitzte, und gewiss hatte Kafka noch Humor genug, um von dieser besonderen Auszeichnung auch den Freunden zu berichten. Was Fehleinschätzungen und Missverständnisse anging, so hatte er längst Schlimmeres erlebt – beispielsweise, dass der Wiener Erzähler Otto Stoessl aus dem Band BETRACHTUNG eine »leichte, innerste Heiterkeit« und einen »Humor der eigenen guten Verfassung«
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