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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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sich über den Uferrand hatten hinabgleiten lassen? Und wenn ja, würden sie wissen, dass der Fluss hier eine Höhle ausgewaschen hatte? Vielleicht würden sie zum Fluss hinuntersteigen. Von der Höhle aus hätte er freie Schussbahn. Dennoch – sie waren zu dritt. Und er hatte das Mädchen bei sich.
    Vielleicht waren sie aber auch stehen geblieben, weil der Pfad an dieser Stelle breiter wurde, man konnte sich strecken, Luft holen. Vielleicht ...
    »Das bringt nichts«, hörte er Hillbilly sagen. »Clyde kennt diesen Wald wie ein Scheißeichhörnchen.«
    Dann hörte Clyde jemanden reden, den großen Farbigen, nahm er an, obwohl der sehr gebildet klang und mit weichem Yankee-Akzent sprach: »Bruder McBride wird das nicht gefallen.«
    »Wir sollten zurückgehen und auf sie warten«, antwortete eine andere Stimme, die Clyde nicht bekannt vorkam. Sie klang weder nach einem Farbigen noch nach jemandem aus dem Süden. War da etwa noch eine vierte Person? Jemand, den er übersehen hatte?
    »Nein«, widersprach die erste Stimme, die, von der Clyde annahm, dass sie die des Farbigen war. »Die kommen nicht zurück. Das werden sie nicht tun.«
    Dann war eine Bewegung zu hören, gefolgt von Stille. Die beiden saßen lange Zeit dort und lauschten auf nichts. Dann hörten sie eine Explosion. Sie war so laut, dass Karen einen leisen Schrei ausstieß. Sie presste die Hand gegen den Mund und krümmte sich zusammen. Clyde klopfte ihr sanft auf die Schulter. Er merkte, dass er schwer atmete, also holte er tief Luft und ließ sie dann langsam durch die Nase ausströmen. Ganz ruhig, sagte er sich.
    Ganz. Ruhig. Die Explosion hatte nicht sehr nah geklungen. Nur laut. Vielleicht eine Flinte, aber so hatte es sich eigentlich nicht angehört. Nein, keine Flinte. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er sich, dass es keine Flinte war. Aber was war es dann?
    Sie warteten noch einmal ungefähr fünf Minuten. Clyde zählte das, was er für fünf Minuten hielt, im Kopf mit. Dann dachte er: Nein, kletter da nicht hoch. Vielleicht warten sie genau darauf. Dass wir uns blicken lassen. Vielleicht machen sie genau das. Auf der Lauer liegen. Aber die Explosion? Was war das gewesen?
    Clyde legte sich die Schrotflinte quer über die Knie und wischte sich die feuchten Hände am Hemd ab. Dann strich er sich mit der Hand über Augen und Stirn und rieb sie wiederum vorne an seinem Hemd trocken.
    Sie warteten. Weitere zwanzig Minuten vergingen, wie Clyde wiederum im Kopf mitzählte. Er beschloss, zwanzig Minuten müssten reichen. Er beugte sich zu Karen hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: »Du nimmst die Waffe. Ich steig zum Wasser hinunter und geh ein Stück flussaufwärts.«
    »Nein«, widersprach Karen.
    »Ich geh ein Stück flussaufwärts, schlage einen Bogen und seh nach, ob da oben noch jemand ist. Wenn nicht, rufe ich dich. Wenn du mich nicht rufen hörst, wenn irgendjemand über den Rand schaut und anfängt, hier runterzuklettern, dann schießt du. Und zwar so, dass du denjenigen tötest.«
    »Clyde.«
    »Sprich leise.«
    Karen senkte die Stimme. »Warte noch. Ich habe Angst. Warte noch.«
    »Wir warten noch ein bisschen, aber nur ein bisschen.«
    Sie warteten, und das Warten dehnte sich, aber schließlich glitt Clyde aus der Höhle und ließ sich an den Wurzeln baumelnd zum Wasser hinunter. Er bewegte sich so leise wie möglich, konnte allerdings nicht verhindern, dass jeder seiner Schritte ein platschendes Geräusch verursachte. Um ihn herum trieben auf dem Wasser tote Heuschrecken vorbei. Er stieg auf der Seite, auf der sich auch die Höhle befand, ans Ufer, kletterte nach oben und klappte sein Messer auf. Er war ein Stück von der Höhle entfernt und konnte den vom Mond beleuchteten Pfad entlangsehen, konnte erkennen, wo die Männer gestanden waren. Sie waren nicht mehr da. Er schlich in dieselbe Richtung weiter, und durch eine lichte Stelle zwischen den Bäumen sah er etwas so hell aufleuchten, als wäre die Sonne früh aufgegangen und explodiert. Ein Feuer.
    Er ging zum Steilufer, kniete sich hin und sagte: »Karen, ich bin’s. Reich mir die Schrotflinte rauf, wenn du das schaffst.«
    Karens Hand kam hervor, klammerte sich an eine Wurzel, dann schwang sie sich mit dem Rücken zum Wasser aus der Höhle und hielt die Waffe nach oben. Er griff danach, und Karen setzte die Füße auf andere Wurzeln und arbeitete sich die Böschung hinauf. Clyde packte sie am Handgelenk und half ihr.
    »Sind sie weg?«, fragte sie
    »Hier schon. Sie

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