Kahlschlag (German Edition)

herausdonnern. Whisky. Schlechte Idee, dachte er. Ganz schlechte Idee.
    Clyde beschloss, noch ein bisschen sitzen zu bleiben, aber als es allmählich kühler wurde, verspürte er eine gewisse Rastlosigkeit. Außerdem fühlte er sich allmählich kräftiger und mutig genug, um aufzustehen. Er ging zum Brunnen, zog einen Eimer Wasser hoch und schüttete es sich über den Kopf. Er wiederholte den Vorgang, dann holte er noch einmal Wasser hoch, trank einige Schlucke aus dem Eimer und kippte sich den Rest ebenfalls über den Kopf. Schließlich holte er seinen Kamm aus der Tasche, kämmte sich nach Gefühl das Haar und hoffte, dass er nicht allzu lächerlich aussah. Anschließend ging er den Weg hinauf, der zur Hauptstraße führte. Er hatte das eigentlich gar nicht vorgehabt, aber plötzlich wanderte er vor sich hin, und zwar mit ziemlich schnellem Schritt. Dabei schien sein Kopf auf und ab zu hüpfen, als wolle er sich vom Hals lösen. Es fühlte sich an, als würde jemand in seinem Schädel ein Rodeo abhalten.
    Der Tag war derart heiß, dass sein Haar schon fast trocken war, als er die Hauptstraße erreichte, und lange bevor er an seinem Ziel ankam, waren auch Hemd und Hose, die ebenfalls nass geworden waren, wieder getrocknet. Er brauchte fast zwei Stunden, bis er halbwegs in der Nähe von Sunsets Zuhause war, und bevor er in das letzte Stück Straße einbog, das dorthin führte, sah er Hillbilly aus dem Wald kommen, und neben ihm Karen.
    Hillbilly lächelte, und Karen lachte. Hillbilly blieb am Rand der Straße stehen und zupfte Zweige und Gras von der Rückseite von Karens Kleid. Als er damit fertig war, beugte Karen sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Hillbilly nahm ihre Hand und hielt sie fest. Schließlich zog sie den Arm zurück, ließ die Hand aber so lange in seiner, bis sie einfach loslassen musste. Dann drehte sie sich um und ging in Richtung Zelt. Hillbilly blieb eine Weile stehen und sah Karen hinterher. Als sie schließlich hinter der Kurve verschwunden war, drehte er sich um, zog den Reißverschluss seiner Hose hinunter und pinkelte.
    Clyde, der ruhig und zum Teil von Büschen verdeckt am Rand der Straße stand, war nicht bemerkt worden. Er wartete noch einen Moment, und als Hillbilly den Reißverschluss wieder hochzog, trat er aus seinem Versteck und ging auf ihn zu.
    »Was zum Teufel treibst denn du hier?«, fragte Hillbilly.
    »Ich geh spazieren.«
    »Das seh ich. Warum?«
    »Ich hab mein Haus abgefackelt.«
    »Was?«
    »Abgefackelt.«
    »Wie ist das denn passiert?«
    »Ich hab’s angezündet.«
    »Angezündet?«
    »Genau. Du kannst jetzt nicht mehr bei mir wohnen, Hillbilly. Du musst dich nach was anderem umsehen. Ich hab jetzt nur noch ne Plane mit ein paar Sachen drunter.«
    »Warum um Himmels Willen fackelst du deine Bude ab?«
    »Weil ich die Schnauze voll davon hatte. Ich hab gesehen, wie Karen dich geküsst hat.«
    »Was?«
    »Du hast mich schon verstanden.«
    »Mann, das war doch nur ein unschuldiger Schmatz auf die Backe.«
    »Sah mehr wie ein Dankeschön aus, falls du weißt, was ich meine.«
    »Verdammt, die Kleine ist alt genug, ihre Entscheidungen selbst zu treffen.«
    »Wenn einer Leute so einwickeln kann wie du, ist sie vielleicht jung genug, um zu glauben, sie würde Entscheidungen treffen, die eigentlich du für sie triffst.«
    »Ich hab gesagt, sie ist alt genug und ich kann tun, was ich will, aber ich hab nicht gesagt, dass irgendwas passiert ist. Du bildest dir da was ein. Verdammt, Mann, du hast getrunken. Du stinkst wie der Boden von ner Kneipe.«
    »Sunset mag dich.«
    »Ich weiß.«
    »Das ist ihre Tochter.«
    »Auch das weiß ich.«
    »An dich kommt man nicht so leicht ran, stimmt’s, Hillbilly?«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    »Hast du denn keine Gefühle?«
    »Mehr als genug.«
    »Aber alle nur für dich selbst.«
    »Das ist bei allen so, Clyde. Viele Leute halten sich für großzügig, lassen anderen den Vortritt, aber das ist nicht echt. Letztlich nicht. Ich passe nur auf mich auf. Wenn mir die Kleine nen Kuss auf die Backe geben will – oder was auch immer –, dann ist das ihre Sache. Und wenn ich es zulassen will, dann ist das meine.«
    »Du hältst dich wohl für was Besonderes, wie, Hillbilly?«
    »Ich halte mich für einen, der tut, was nötig ist, das ist alles.«
    »Komm heut Abend nicht wieder zu mir.«
    »Wozu auch? Du hast deine Bude doch eh abgefackelt. Ich mach jetzt nen kleinen Spaziergang. Sag Sunset, ich bin gleich wieder da. Und wenn