Kahlschlag (German Edition)
waren der Ansicht, es sei ihr Land, und vermutlich hat das sogar gestimmt. Die Regierung hatte es aufgeteilt und Weißen überlassen, die es besiedeln wollten, aber diese Indianer, vier oder fünf von denen, glaubten, es sei ihres.«
»Soll das heißen, die waren auf dem Kriegspfad?«
»Nicht wie in den Cowboyfilmen. Das waren zivilisierte Indianer. In Anzug und mit Hüten und .45ern. Weniger zivilisiert war, dass sie meine Mama und meinen Papa umgebracht haben. In unserem Haus, und mich haben sie mit den Leichen zurückgelassen. Ich weiß nicht, warum sie mich nicht auch umgebracht haben – jedenfalls haben sie es nicht getan. Einer hat mir die Pistole an die Stirn gehalten, den Hahn gespannt, aber nicht abgedrückt. Er hat mich eine Minute lang angesehen, dann sind er und seine Leute abgehauen. Ein paar Tage lang habe ich mir gewünscht, sie hätten mich getötet, aber einige Zeit später war ich dann froh, dass sie es nicht getan hatten, weil ich mich dann auf die Jagd nach ihnen gemacht habe.«
»Wie alt waren Sie da?«
»Vierzehn. Das muss so ’94 gewesen sein.«
»Haben Sie sie erwischt?«
»Einen hat das Gesetz erwischt, den haben sie aufgehängt. Zwei habe ich selbst verfolgt. Bis nach Kansas. Dort haben sie sich getrennt, und ich habe mich an die Fersen von einem der beiden geheftet. Habe ihm vor einem Freudenhaus in Leavenworth aufgelauert, und als er rauskam, bin ich von hinten auf ihn los und habe ihm die Gurgel durchgeschnitten.«
»Meine Güte.«
»Ja. Ziemlich schrecklich. Aber damals hat mich das nicht aus der Fassung gebracht. Ich habe mich auf die Suche nach dem anderen gemacht, habe ihn gefunden und ihm in den Rücken geschossen. Ich hatte mich in einem Baum versteckt, unter dem er vorbeireiten musste, und als er auftauchte, habe ich ihn mit einem Gewehr erschossen, das ich gestohlen hatte. Stellen Sie sich vor, später habe ich dann erfahren, dass man wegen dem Gewehr einen Farbigen gehängt hat. Das ist mir erst Jahre später zu Ohren gekommen. Jedenfalls wurde er gehängt, weil man überzeugt war, er hätte es gestohlen, obwohl sie es nicht finden konnten. Er war kurze Zeit nach mir durch denselben Ort gekommen. Das muss man sich mal vorstellen, die hängen einen Mann, weil er ein Gewehr gestohlen hat. Und dabei hatte er es nicht mal gestohlen. Als ich das hörte, hatte ich erst vor, was zu sagen, habe es dann aber doch nicht getan, weil ich mir dachte, nachher hängen sie mich auch. Und mein Geständnis hätte den armen Kerl ja doch nicht wieder lebendig gemacht. Jedenfalls wollte ich, nachdem ich den zweiten Mann getötet hatte, auch die anderen finden. Eines Nachts lag ich auf einem Feld irgendwo in Kansas, unter freiem Himmel, und versuchte zu schlafen, blickte zu den Sternen hoch, und auf einmal waren die Rachegelüste weg. Hat sich angefühlt, als hätte der Herr die Hand ausgestreckt, die ganze Schwärze aus meinem Herzen herausgezogen und es mit Licht gefüllt. In dem Moment habe ich beschlossen, Prediger zu werden. So um 1900 bin ich dann in Camp Rapture gelandet.«
»Mein Gott. Sie sind der Reverend.«
»Nicht mehr. Mein Name ist Lee Beck. Aber es stimmt, damals war ich Reverend. Und ich kam hier in den Ort, der jetzt Camp Rapture heißt, und habe so manches Gute getan. Ich habe ein paar Leute getauft und ein paar anderen Manieren beigebracht. Und dann bin ich, wie David, vom Weg abgekommen. Ich habe eine junge Frau ausgenutzt. Sie hieß Bunny Ann.«
»Die habe ich gekannt.«
»Wirklich?«
»Ja. Nicht gut. Aber gekannt habe ich sie.«
»Ich habe mich an ihr vergangen, und dann bin ich davongelaufen. Ich weiß nicht, ob sie inzwischen verheiratet ist oder ob sie überhaupt noch hier lebt, und ich will mich auch nicht in ihr Leben einmischen. Ich möchte mich einfach nur bei ihr entschuldigen. Die Sache wiedergutmachen.«
»Und was ist mit Ihrer Tochter?«
»Wovon reden Sie?«
»Wussten Sie nicht, dass Bunny Ann schwanger war und eine Tochter bekommen hat?«
Lee sackte in sich zusammen. »Eine Tochter? Sie hatte eine Tochter?«
»Ihre Tochter, wenn Bunny die Wahrheit gesagt hat. Sie hat ihr Ihren Nachnamen gegeben. Und soll ich Ihnen noch was verraten?«
»Ich weiß nicht recht.«
»Sie ist meine Schwiegertochter.«
»Mein Gott.«
»Es ist noch ein bisschen komplizierter.«
»Bevor Sie weitererzählen – was ist mit Bunny Ann? Lebt sie noch hier?«
»Nein. Sie ist mit einem Schuhverkäufer auf und davon.«
»Einem Schuhverkäufer?«
»Genau.«
»Tja, ich
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