Kahlschlag (German Edition)
zum Trinken ist das nichts.«
KAPITEL 22
Am nächsten Morgen fuhr Sunset ihre sich heftig sträubende Tochter zu Marilyn. Karen saß steif und mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz und machte ein Gesicht, als hätte jemand sie gezwungen, eine Schachtel Reißnägel zu essen.
»Ich dachte, du gehst gern zu deiner Großmutter«, sagte Sunset.
Karen rutschte auf dem Sitz hin und her, lockerte aber nicht die Arme. »Ich wollte zum Ölfest.«
»Das kannst du doch auch. Frag deine Großmama. Sie fährt mit dir hin.«
»Hillbilly hat mir davon erzählt«, erwiderte Karen.
»Mir auch. Daher wusste ich davon.«
»Er hat gesagt, er geht mit mir hin.«
Das musste Sunset erst mal verdauen. Schließlich sagte sie: »Er hat damit nicht gemeint, dass er mit dir ausgehen will. Er hat gemeint, du kannst mit uns mitkommen.«
»Tja, jetzt komme ich wohl nicht mit, habe ich recht?«
»Großmama möchte dich sehen. Du kannst mit ihr hinfahren. Außerdem denkst du falsch über Hillbilly. Er mag dich. Aber nicht so.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es eben.«
»Weil du ihn magst. Weil du ihn geküsst hast.«
»Na gut. Du hast mich durchschaut. Ich mag ihn.«
»Ich mag ihn mehr.«
Sunset beschloss, sich auf keine Diskussion darüber einzulassen, wer wen mehr mochte. Sie sagte: »Er ist zu alt für dich, mein Schatz, und damit hat es sich.«
»Du bist bloß eifersüchtig.«
»Ich bin nicht eifersüchtig.«
»Du glaubst, er kann mich nicht mögen, weil ich jung bin.«
»Natürlich kann er dich mögen, Karen, aber eben nicht so. Schluss, aus, fertig. Du besuchst deine Großmama, und du kannst mit ihr nach Holiday fahren oder bei ihr rumsitzen. Ganz wie du willst.«
»Magst du ihn lieber als Daddy?«
»Ich mag ihn einfach. Das ist alles.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Ich habe deinen Daddy geliebt, als ich ihn noch geliebt habe, und manches an ihm liebe ich immer noch, bestimmte Erinnerungen. Aber er hat das, was ich für ihn empfunden habe, kaputt gemacht. Wenn jemand dich verprügelt, mein Schatz, kühlen deine Gefühle in der Regel ziemlich schnell ab.«
Karen schnaubte. »Dir hat es Spaß gemacht, ihn umzubringen.«
»Nein, das hat es nicht.«
»Das klang jetzt nicht gerade überzeugend.«
»Ich habe es dir so gut ich kann erklärt. Und ich habe dir erklärt, wie es mit dir und Hillbilly aussieht.«
»Du glaubst, du weißt alles.«
»Tue ich nicht. Ich weiß, dass ich nicht alles weiß. Wenn ich eins sicher weiß, dann, dass ich nicht alles weiß. Tatsächlich gibt es ganz schön viel, was ich nicht weiß.«
»Da hast du recht. Du weißt gar nichts. Überhaupt nichts weißt du.«
»Jetzt reicht es, junge Dame.«
»Willst du mich schlagen? So wie Daddy dich angeblich geschlagen hat?«
»Nein. Aber ich täte es gern. Sehr gern sogar. Und ich behaupte nicht einfach nur, dass dein Daddy mich geschlagen hat. Es stimmt. Ich habe mich nicht selbst dermaßen zugerichtet. Du wusstest, dass er mich schlägt, Kleines. Du wusstest es schon, bevor ich ihn umgebracht habe, stimmt’s?«
»Nein.«
»Oh doch.«
Karen lehnte sich zurück und starrte aus dem Fenster. Der Rest der Fahrt nach Camp Rapture verlief schweigend, und als Sunset in Marilyns Hof einbog, stieg Karen aus, knallte die Tür zu, lief zur Veranda hinauf und verschwand im Haus.
Sunset blieb eine Zeit lang sitzen und überlegte, ob sie noch mal mit ihr reden sollte, dachte dann aber: Nein. Man kann nicht endlos versuchen, etwas zu erklären, das nicht zu erklären ist. Sie wendete und wollte gerade losfahren, als sie Marilyn im Außenspiegel entdeckte. Sie öffnete die Tür, und Marilyn kam zum Auto und beugte sich hinein. »Karen wirkt ein bisschen übellaunig«, sagte sie.
»Backfischkummer«, entgegnete Sunset.
»Na, sie wird schon drüber hinwegkommen. Ich mache ihr was Leckeres zum Frühstück, und dann sehen wir mal, ob sie nach Holiday fahren mag, ins Lichtspielhaus oder so.«
»In Holiday findet zur Zeit etwas statt, das Ölfest heißt. Angeblich mit Musik und allem. Ich bin heute auch in Holiday. Beruflich.«
Marilyn lächelte. »Ich habe hier was für dich, das das Berufliche vielleicht angenehmer macht.« Sie reichte Sunset drei Umschläge. »Zahltag für dich und deine Jungs.«
»Ist das nicht ein bisschen früh?«
»Ja. Aber man kann nur eine gewisse Zeit ohne Geld auskommen.«
»Danke.«
»Gern geschehen. Erledige, was du zu erledigen hast, aber gönn dir auch ein bisschen Zeit für
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