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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Haus führte, fragte sie sich, wie eine einfache Gastwirtsfamilie an einen Hausaltar kam.
    Der Altar stand in einer Kammer neben der Schlafstube der Eheleute. Ob seiner geringen Größe hatte man ihn auf einen Tisch gestellt. Es war einer jener dreigeteilten Klappaltäre, die auf Reisen verwendet wurden und die Amicia von wohlhabenden Pilgern kannte. Zwar war die Ausfertigung aus bemaltem Holz eher bescheiden, doch gegen die strenge Schlichtheit der Zisterzienseraltäre wirkte sie geradezu überladen. Die Altarbilder zeigten Szenen aus dem Leben des heiligen Veit: den Versuch seines Vaters, ihn zu ermorden, die wilden Löwen, die sich gezähmt zu seinen Füßen niederlegten, und den Engel, der ihn aus dem Kessel mit siedendem Öl errettete. Amicia bemühte sich, nicht auf das erste Bild zu sehen. Am Flügel des Engels war eine winzige gläserne Ampulle befestigt, in der eine trübe Flüssigkeit schwamm.
    Dolasilla hatte ihren Blick bemerkt. »Es ist ein echter Altar!«, bekundete sie stolz. »In Ehren geweiht – dort siehst du ja selbst die Tränen des heiligen Veit.« Sie wies auf die Ampulle.
    »Woher habt ihr sie?«, fragte Amicia. Einem Altar, der keine Reliquie enthielt, blieb die Weihe verwehrt, und eine Reliquie erster Klasse wie die Tränen eines Heiligen kostete ein Vermögen.
    »Aus dem Heiligen Land«, erwiderte Dolasilla stolz. »Mein Tom hat ihn von seinem Kreuzzug mitgebracht.«
    »Dein Mann war Kreuzfahrer?«
    »Nun, das vielleicht nicht«, räumte Dolasilla ein. »Aber er ist im Gefolge eines Ritters mitgezogen und bis über die Alpen gekommen. Dann hat ihn allerdings das Heimweh gepackt, dagegen ist ja kein Kraut gewachsen. Von einem, der schon im Heiligen Land war, hat er den Altar gekauft, und auf dem Rückweg hat er sich noch etwas mit nach Hause genommen.« Sie schenkte Amicia ihr Strahlen. »Mich.«
    Amicia dachte an die fremdländischen Kräuter und die noch fremdere Sprache. Sie erinnerte sich an den Beginn ihrer Reise, als jeder Gedanke an ihre Insel ihr Schmerzen bereitet hatte. Aber die Insel lag nicht mehr als ein paar Tagesreisen entfernt, wenn man allein und zügig reiste. Die Wirtin hingegen würde die Berge, von denen sie stammte, nicht wiedersehen. »Packt dich auch manchmal das Heimweh, Dolasilla?«, fragte sie.
    Die kleine Frau zuckte mit den Schultern. »Jetzt nicht mehr. Ich habe doch mein Leben hier verbracht – dreißig Jahre, eine gute Ehe und fünf Kinder. Heimat ist der Ort, an dem man fehlt, wenn man nicht mehr da ist. Und was glaubst du wohl, wie ich hier fehlen würde, was für eine Unordnung hier herrschte ohne mich! Im Fassatal kennt kein Mensch mehr meinen Namen, weshalb sollte ich dorthin zurückwollen?«
    Amicia fiel keine Antwort ein. Stattdessen beschlich sie eine Spur von Neid. Heimat ist der Ort, an dem man fehlt, wenn man nicht mehr da ist. Fehlte sie jemandem in Quarr, kannte dort noch jemand ihren Namen?
    Dolasilla umfasste ihre Hand. »Wollen wir beide jetzt beten?«
    Amicia nickte und sah zu, wie die Frau sich vor dem kleinen Altar verneigte, sich bekreuzigte und niederkniete. Unverzüglich begann sie, ihr Gebet zu murmeln, als sei sie allein:
    Père nosc che te es sun ciel,
    sie fat sent to inom,
    fa che vegne to regn
    Nie zuvor hatte Amicia jemanden ein Gebet in einer anderen Sprache als Lateinisch sprechen hören. Die Sprache klang in der Tat dem Lateinischen ähnlich – aber anders als die in Matthews Lied glitt sie weich und ohne scharfe Kanten dahin.
    Amicias Verblüffung steigerte sich noch, als hinter ihr das Knarren der Tür ertönte, gefolgt von einer weiteren Stimme.
    »To voler sie semper respetà, tant sun ciel che su la tera« , fiel Magdalene ein, die im Spalt stand. Sie klang, als begriffe sie selbst nicht, warum sie die Worte in der fremden Sprache sprach, als wäre es ihre eigene. Dolasilla beendete ihr Gebet, bevor sie sich umdrehte. »Du bist eine von uns, was?«, fragte sie ohne Verwunderung. »Aus dem Fassatal? Gedacht hab ich’s mir gleich.«
    »Ich weiß es ja nicht!«, rief Magdalene. »Ich hab die Amsel gesucht, weil ich vor Angst um meinen Herrn Matthew nicht mehr ruhen kann, und da habe ich ein Paternoster beten hören. Das kann nicht schaden, habe ich mir gedacht. Also habe ich mich dazugeschlichen.«
    »Und woher du stammst, weißt du nicht?«
    Magdalene schüttelte den Kopf. »Ich war immer nur bei Gilles und den Frauen, schon als Kind. Und dann bei meinem Herrn Matthew.«
    Dolasilla rappelte sich auf, ging zu ihr und zog

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