Kains Erben
wie ein schmollendes Mädchen die Lippe vorschob. »Ist es etwa meine Schuld, dass ich der Sohn eines Gastwirts bin?«
»Ist es des Juden Schuld, dass er ein Jude ist?«, konterte Dolasilla. »Wir alle sind in eine Ordnung geboren. Sie weist uns unseren Platz zu, und wenn wir den verlassen, sehen wir aus wie Schwäne, die aufs Land watscheln. Ich für mein Teil bin glücklich mit meinem Platz, ich möchte mit keiner Königin tauschen. Fünf Kinder habe ich geboren, und fünf Kinder habe ich noch immer bei mir. Wer sagt, dass es schöner und einfacher ist, die Königin Eleonore zu sein als die Gastwirtsgattin Dol?«
Die schwergewichtigen Burschen, die aus dem Schoß dieser kleinen Person hervorgegangen waren, umringten sie und bedachten sie mit Küssen und Schulterklopfern. Nur der junge Stephen schmollte noch immer. »Euch mag das Lachen über mich noch im Halse steckenbleiben! Wenn Matthew de Camoys wiederkommt, wer weiß, vielleicht frage ich ihn, ob er nicht einen Knappen brauchen kann. Der Tölpel da«, er wies auf Hugh, der zusammengerollt wie ein Kind am Boden schnarchte, »der taugt ja wohl weniger als ein Sack Pferdedreck, und wenn der von Adel ist, bin ich mein eigener Großvater.«
»Vielleicht wirst du’s schneller, als du denkst«, drohte ihm seine Mutter, aber Magdalene sprang aus ihrem Schatten hervor und rief: »Wenn du einen guten Herrn suchst, dann bist du bei meinem Herrn Matthew richtig. Aber um deinetwillen wird er nicht einen von uns verstoßen. Gehst du zu ihm und vergleichst unseren Hugh mit Pferdedreck, dann bekommst du einen Tritt ins Hinterteil, sonst nichts!«
Die Schankstube, in der eigentlich Trauer um den Prinzen hätte herrschen sollen, füllte sich mit Johlen und Gelächter. Zecher und Hausbewohner vereinten sich im Applaus für das ausgezehrte Mädchen, das den stiernackigen Jüngling auf seinen Platz verwiesen hatte. Noch immer schnappte Stephen nach einer Antwort wie ein Frosch nach Fliegen.
Als Magdalene sah, wie hilflos er war, ging sie zu ihm und tippte ihm auf das von spärlichen Stoppeln bedeckte Kinn. »Du stammst aus einer feinen Familie«, sagte sie. »Benimm dich entsprechend, dann wird mein Herr Matthew seine Freude an dir haben. Und da du willst, dass er etwas für dich tut, könntest du erst einmal etwas für ihn tun.«
Alle Entrüstung fiel von Stephen ab. »Mit dem größten Vergnügen!«, rief er. »Sag mir, was ich tun kann, und betrachte es als getan.«
»Ihr beliefert den Constable des Towers mit gewürztem Ale, oder nicht?«
»Und ob wir das tun«, erwiderte Stephen stolz. »Kein Ale in der Stadt ist so herzhaft und honigsüß zugleich. Es heißt, dass sogar der König gern einen Krug davon probiert.«
»Fein«, entgegnete Magdalene schlicht. »Dann wird der Constable des Towers dich bestimmt empfangen, und du kannst ihn fragen, warum mein Herr Matthew noch immer nicht zurück ist, obwohl er vor mehr als fünf Wochen mit dem Geld für den König aufgebrochen ist.«
Ehe Stephen den Mund aufbekam, mischte sich sein Vater ein und legte den Arm um Magdalenes Schultern. »Ist es das, was dich bedrückt, du Murmeltier? Dann schick nicht das grüne Gemüse, sondern den knorrigen Alten. Bis morgen Abend sage ich dir, was deinen Herrn ereilt hat, darauf hast du mein Wort.«
Das war alles, was Amicia hatte hören wollen. Leise und ohne Aufhebens zog sie sich aus der Stube zurück und ging in den Stall. Dort setzte sie sich in die leere Box, die Matthew für Althaimenes gemietet hatte. Sie würde hier schlafen, wo sie niemanden sehen musste. Sie mochte die Menschen, in deren Haus sie Quartier gefunden hatte, sie mochte sie mehr, als sie zu zeigen wusste. Und dennoch gehörte sie nicht zu ihnen. Die Ordnung, von der Dolasilla gesprochen hatte, stieß sie mehr als jeden anderen aus, wusste sie doch nicht einmal, an welchen Platz sie einmal gestellt worden war.
Nie hatte sie sich Matthew so sehr zurückgewünscht wie in dieser Nacht. Matthew, der »Zaubermädchen« zu ihr sagte, der sich nackt und schutzlos zu ihr legte und von ihr geliebt werden wollte. In manchen Nächten in Quarr hatte sie geglaubt, ihre Einsamkeit könne nicht größer sein. Jetzt wusste sie, dass von Einsamkeit nichts verstand, wer noch nie einem Menschen in den Armen gelegen und diese Arme verloren hatte. Wäre der Hund hier gewesen, hätte sie in sein Fell geweint, aber selbst der Hund war fort.
Der Tod des Prinzen Alphonso, der in der Abtei von Westminster begraben werden sollte, brachte
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