Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
Vom Netzwerk:
sie an sich, wie sie es mit ihren großen, fleischbepackten Söhnen tat. »Armes Kleines. Deine Mutter war ein Mitbringsel aus dem Siebten Kreuzzug, was? So wie ich aus dem Sechsten. Das ist nichts Besonderes, die Männer schleifen mit, was nicht niet- und nagelfest ist: Altäre, Hausrat, Vieh und Pflanzen, Weiber. Und die wenigsten sind wie mein Tom und heiraten, was sie aus dem Boden gerissen und verschleppt haben.«
    So lautlos, wie es ihr möglich war, schlich sich Amicia an ihnen vorbei und kehrte in den Garten zurück. In der sengenden Sonne, die den Duft der Kräuter wachrief, setzte sie sich auf einen Hügel aufgeworfener Erde und stützte das Gesicht in die Hände. So also war es, wenn man sein Leben wiederbekam, den Teil des Lebens, der fehlte. Würde es Magdalene helfen zu wissen, dass himmelhohe Berge in ihr Leben gehörten, Hänge, auf denen die Sonne blauroten Wein reifen ließ? Würde sie das Land ihrer Vergangenheit, dem sie vermutlich als kleines Kind entrissen worden war, sehen wollen?
    So wie ich , schrie es in Amicia. So wie ich.
    Mit einer scharfen, jähen Sehnsucht wünschte sie sich, an Magdalenes Stelle zu sein. Warum war die fremde Sprache nicht ihre? Warum war sie nicht die Sprache, in der ihre Mutter sie getröstet, ihr vorgesungen und für sie gebetet hatte? Warum war nicht sie es, die vor dem Altar des heiligen Veit entdeckt hatte: Dies ist der Name des Ortes, an dem ich geboren wurde, dies ist meine Landsmännin, dies ist das Volk, zu dem ich gehöre?
    Aber hatte nicht auch Dolasilla recht? Wenn sie dort, wo sie verlorengegangen war, keinem Menschen fehlte, so wie vermutlich Magdalene in ihrem Tal keinem fehlte – wie konnte ein solcher Ort dann ihre Heimat sein?
    Am Nachmittag des folgenden Tages kam ein Bote vom Tower und wies Tom an, die Gastwirtschaft zu schließen. Niemand sollte mehr zechen oder gar tanzen, die ganze Stadt sollte das Haupt verhüllen und in Trauer gehen.
    Tom befolgte die Anweisung, holte den mit Laub geschmückten Stab, der anzeigte, dass in seinem Haus Ale ausgeschenkt wurde, und das bunte Schild mit der Weinrebe von der Tür und legte den Bolzen für die Nacht davor, ohne ihn zu befestigen. Die Zecher, die bei ihrem Cider, Ale oder Wein saßen, ließ er jedoch bleiben. »Tisch ihnen auf, was sie verlangen«, sagte er zu Dolasilla. »Koch nur nichts Frisches mehr.«
    »Was ist überhaupt passiert?«, fragte Magdalene, die seit dem vergangenen Tag nicht von Dolasillas Seite wich.
    »Prinz Alphonso ist gestorben«, erklärte ihr Stephen, der jüngste und wildeste unter Toms Söhnen. »Die strahlende Hoffnung Englands und seiner Ritterschaft.«
    »Was für ein dummer Salm!«, sagte seine Mutter und gab ihrem Sohn einen Klaps auf den Hinterkopf. »Um jedes Bübchen von elf Jahren, das stirbt, ist es ein Jammer, und mein Herz ist bei der Königin in Wales. Wie muss es eine Mutter schmerzen, ihr Söhnchen nicht in den Armen halten zu können, wenn es von der Welt geht! Aber die Hoffnung Englands kann doch kein Dreikäsehoch sein, der mit Zinnfiguren spielt – das ist für so kleine Schultern eine viel zu schwere Last. Und du, mein Jungchen, bist kein Ritter und wirst auch nie einer werden.«
    »Woher willst du das wissen?«, begehrte Stephen gekränkt auf. »Wenn mich ein Ritter in seine Dienste nähme, könnte ich ein Schildknappe werden, und danach ist alles möglich. Der Vater ist schließlich auch mit einem Ritter gezogen.«
    »Aber nicht als Schildknappe«, versetzte Dolasilla trocken. »Dazu wählen sich die Herren nämlich adlige Knaben, keine namenlosen.«
    »Pah, heute braucht man nicht mehr von Adel zu sein!«, trumpfte Stephen auf. »Mit dem Adel hat der König Böses genug erlebt, als die Barone ihn und seinen Vater gefangen setzten. Deshalb zählt für ihn jeder gute, königstreue Kerl, und ein einfacher Kriegsknecht, der seinen Mann steht, kann es bis zum Ritterschlag bringen.«
    »Auch ein Jude?«, fragte seine Mutter.
    Amicia horchte auf. Wie kam Dolasilla darauf?
    Stephen fragte sich offenbar dasselbe: »Was gehen uns die Juden an? Dass ein Jude kein Ritter werden kann, versteht sich von selbst – er ist ja schließlich kein Christ.«
    »Natürlich – er ist kein Christ«, spottete seine Mutter. »Und du meinst nicht, dass anderswo über dich genauso gedacht wird? Dass der Sohn eines Gastwirts kein Ritter werden kann, versteht sich von selbst – er ist ja schließlich kein Herr. «
    Tom lachte und zollte seiner Frau Beifall, während Stephen

Weitere Kostenlose Bücher