Kains Erben
nicht, auf Dinge Einfluss zu nehmen, die sich deinem Einfluss entziehen«, riet sie Deborah. »Du bist ein schönes, stolzes jüdisches Mädchen. Willst du einen Mann, der dich nimmt, weil er eine andere nicht haben kann?« Mit ihren kleinen, würdevollen Schritten ging sie die Treppe hinunter und ließ die beiden jungen Frauen allein.
Mit einem Ruck schwang Deborah sich auf die Füße. »Ja«, sagte sie, ohne Amicia anzusehen. »Ja, ich nähme ihn, weil er dich nicht haben kann, das hätte ich seit Jahren getan, lange bevor ich dein Gesicht kannte. Ich gäbe meinen Stolz drein, um ihn zu bekommen. Und ich werde gehen und es ihm sagen.«
24
A
ls der erste Schnee fiel, kam Adam zurück.
Isabel war entschlossen gewesen, ihn nicht wieder einzulassen. Sie hatte ihrem Stewart Roger gesagt, er solle sich in die Verwaltung der Güter einarbeiten, da er binnen Kurzem Adams Posten übernehmen werde. Dann aber stand Adam in der ersten Schneenacht beim Kräutergarten in ihrem Hof und rief ihren Namen. Isabel hatte auf der Galerie über ihrer privaten Kapelle die Messe gehört und war anschließend noch eine Zeit lang dort sitzen geblieben, weil nichts sie in ihr Schlafgemach zog. Hätte sie anderswo gesessen als an dem großen Fenster zum Vorhof, hätte sie sein Rufen nicht gehört.
Er hatte das nie zuvor getan, hatte sie nie bei ihrem Namen gerufen, wenn sie nicht sicher wussten, dass sie allein waren. Er tat noch etwas anderes, das er nie zuvor getan hatte: Sobald sie aus der Tür in die Schneenacht trat und die Fackel hob, um sein Gesicht zu sehen, wandte er sich ihr zu und sagte: »Bitte lass mich ein.«
Als sie jung waren, hatte er sie, wenn er von einem seiner Raubzüge kam, um die Taille gepackt und um sich selbst gewirbelt. »Ich bin wieder da, hörst du? Adam de Stratton ist wieder da!«
Wenn sie protestiert hatte, sie sei in Trauer um ihren Bruder, hatte er sie geküsst. »Ich weiß ja, meine Göttliche. Aber was der arme Baldwyn nicht mehr tun kann, das müssen Adam und Isabel für ihn mittun, oder nicht?«
Jetzt trug er einen zu dünnen Mantel aus Barchent und hielt den bloßen Kopf gesenkt. Auf den ersten Blick glaubte Isabel, er habe sich die Tonsur frisch geschoren. Dann aber sah sie, dass der Flaum, der ihm auf dem Schädel spross, nur nicht mehr so dicht war und kaum ein schwarzes Haar aufwies. Adam hatte immer versucht, den Mangel seiner Kindheit zu vergessen, indem er nach Herzenslust prasste. Sie hatte ihm gelegentlich deshalb in den Speck gekniffen, den er vom Wohlleben ansetzte, und ihm gedroht, sie werde ihn auf Hirsegrütze setzen, damit er nicht gänzlich unansehnlich werde. Unansehnlich war er jetzt. Abgemagert, das Gesicht wie ein Totenschädel.
Er war kein Mann, der Mitleid verdiente, und sie war seit Langem keine Frau mehr, die Mitleid empfand. Sie winkte ihm dennoch, ging zurück zur Tür und ließ ihn ein.
Sein ganzer Körper zitterte vor Kälte. Als er sie umarmen wollte, erschrak sie und stieß ihn weg. Er stank nicht nur – Adam, der parfümierte Vornehmtuer! –, sondern er hatte sich Läuse und Wanzen eingefangen, und auf Hals und Schultern saß verschorfter Grind. »Mach wieder einen Menschen aus mir!«, bettelte er. »Nimm mich in die Arme. Lass mich in heißem, duftendem Wasser baden!«
»Baden genügt«, beschied ihn Isabel und rief zwei ihrer Frauen, die sich um Wasser kümmern sollten.
Während er sich anschickte, ihnen zu folgen, drehte er sich noch einmal um und sah ihr zerquält ins Gesicht. »Ich habe sie nicht gefunden, Isabel«, murmelte er. Über die eingefallenen Wangen rannen ihm Tränen.
Als er wenig später zurückkehrte, trug er eines seiner bestickten Seidenhemden und sah darin aus, als hätte er es von jemandem geborgt. Sie ließ ihm von sich aus nichts vorsetzen. Er musste um alles bitten, doch er bat einzig um etwas kaltes Fleisch und viel Wein. »Ich will nur bei dir sitzen«, sagte er. »Lass eins deiner hohen Feuer entzünden und mich spüren, dass ich wieder zu Hause bin. Noch einmal der Hölle entronnen.«
»Was ist, Adam? Haben sie dich verhaftet?«
Er zögerte, ehe er nickte. »Ich habe vier elende Monate im Tower verbracht. Als sie mich endlich gehen ließen, hatte er sie fortgeschleppt.«
»Hör auf, in Rätseln zu sprechen!«, herrschte sie ihn an. »Wer ist er? Wer ist sie?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Isabel, meine Liebste. Er ist der Abschaum, mit dem sie mich in eine Zelle gesperrt haben – an die Wand gekettet, damit ich ihm
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