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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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den Hund. »Meine Gefährten sorgen dafür.«
    Adam hielt die schwankende Amicia auf den Füßen. »Ich muss es tun«, flüsterte er an ihrem Ohr wie ein Liebhaber beim zärtlichen Spiel. »Um für Abels Tod zu büßen, muss dieser Sohn des Teufels tausend Tode sterben, oder wir finden im Leben keinen Frieden mehr. Aber ich komme dich holen, meine Süße. Hab nur Geduld, ich lasse dich nicht lange warten.«
    Amicia konnte kaum stehen, aber als er sie losließ, vermochte sie dennoch zu rennen, als trüge sie eine fremde Kraft. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Matthew Adams Männern, die von den Pferden gesprungen waren, die an den Gelenken gekreuzten Hände entgegenhielt. Sah, wie sie ihn packten und niederschlugen. Dann sah sie nichts mehr, nur den tapferen Stephen, der noch einmal über sich hinauswuchs und die Arme öffnete. Sie stürzte an seine Brust, und er fiel mit ihr auf die Knie. Auf ihrem Gesicht spürte sie die Zunge des Hundes. Rau wie Sackleinen.
    »Ich bringe dich nach Fountains Abbey«, stieß der junge Mann weinend heraus, und sie weinte mit ihm. »Und wenn es das Letzte ist, das ich tue, ich bringe dich nach Fountains Abbey.«

Fünfter Teil
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S
ommer 1289
    Laudato sie, mi’ Signore, cum tucte le tue creature,
    spetialmente messor lo frate sole,
    lo qual’è iorno et allumini noi per loi.
    Et ellu è bellu e radiante cun grande splendore,
    de te, Altissimo, porta significatione.
    Gelobt seist du, mein Herr, in all deinen Geschöpfen.
    Allen voran in unserem Bruder, der Sonne,
    Die uns der Tag ist und durch die du uns das Licht schenkst.
    Und schön ist sie und strahlend mit großem Glanz.
    Von dir, Höchster, erhält sie Bedeutung.
    St. Francesco d’Assisi, Cantico delle Creature

33
    L
ass das stehen!«, rief Vyves Gideon zu. »Die kleine Truhe werde ich ja wohl allein tragen können. Und ein letztes Mal alles prüfen kann ich auch.«
    »Bist du sicher? Dann gehe ich Moses beim Anspannen helfen.«
    Vyves nickte, und zum Beweis nahm er dem Freund die Truhe aus den Händen, das letzte im Raum befindliche Möbelstück. Er wusste, wie schwer es Gideon fiel, erneut von einer Behausung Abschied zu nehmen, von den Zimmern, in denen seine Tochter aufgewachsen und in denen sein Sohn geboren worden war, von einem Stück Leben, das zurückblieb. Dass der Freund sich tapfer hielt, auch wenn er mehr verlieren würde als drei gemietete Kammern, rechnete Vyves ihm hoch an. Er sollte sich nicht noch mit dem Anblick ihrer leer geräumten Wohnung quälen.
    Gideon warf ihm einen dankbaren Blick zu und war gleich darauf die Treppe hinunter verschwunden. Vyves stellte die Truhe ab und rieb sich einen dünnen Film Schweiß von der Stirn. Also noch einmal durch alle drei Räume, um sicherzustellen, dass sie von ihrem stetig schrumpfenden Besitz nichts zurückgelassen hatten. Das große Zimmer, in dem Gideon und Esther mit ihren Kindern gelebt hatten, war zweifellos leer. Gleiches galt für die kleinere Stube nebenan, die er mit seiner Mutter geteilt hatte. Zuletzt zwängte er sich in das winzige Kämmerchen, das zuletzt die junge Rebecca bewohnt hatte. Der Großvater des Mädchens hatte damals mit vier seiner Enkelinnen in einem einzigen Zimmer Unterschlupf gefunden und war froh gewesen, dass die jüngste im Haus der Crespins bleiben durfte. Inzwischen war Rebecca längst zu einem Mitglied der Familie geworden und würde mit ihnen umziehen, einige Straßenzüge weiter, in die Colechurch Lane und einen noch beengteren Raum.
    Sie war ein ordentliches Mädchen und hatte ihr Zimmer peinlich sauber ausgeräumt. Das Bett, das die Crespins ihnen überließen, hatten Gideon, Vyves und Moses bereits am frühen Morgen nach unten geschleppt und auf ihren Karren verladen. Vyves wollte die Tür rasch zuschieben, weil ihm der Anblick der leeren Wände mehr zusetzte, als er sich eingestehen mochte, da entdeckte er in der hinteren Ecke zwischen zwei Dielenbrettern ein Glitzern. Im Nu war er dort und fischte den winzigen Gegenstand aus dem Spalt. Er musste irgendwann heruntergefallen sein und sich dort verklemmt haben. Vyves hielt ihn in der Handfläche und deckte die zweite Hand darüber. Hatte sie je bemerkt, dass ihr das Schmuckstück fehlte?
    So überstürzt, wie sie in sein Leben gewirbelt war, war sie wieder verschwunden. »Ich wünsche mir nichts so sehr, wie dass du glücklich wirst«, hatte er ihr mit auf den Weg gegeben, und die edle Lüge hallte ihm bis heute in den Ohren. Er hatte mehr als

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