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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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vier Jahre damit zugebracht, die kleinsten Teile zusammenzutragen, die in dieses Mosaik gehörten, getrieben von der Hoffnung, einer davon möge ihm Antwort auf eine einzige Frage geben: Kommt sie zurück?
    War es einer der schwarzen Scherze des Schicksals, dass er erst heute, wo er diese Kammer hinter sich ließ, entdeckte, was sie ihm vor viereinhalb Jahren hinterlassen hatte: den Bernstein mit der Spinne, golden wie ihre Zukunft, klar wie ihre Bindung aneinander und darin eingeschlossen das Zeichen für Hoffnung und Geduld. Seine von Adam de Stratton gestohlene Hochzeitsgabe. Was er längst hätte wissen können, lag darin besiegelt: Das Kinderversprechen, das ohnehin nie Gültigkeit besessen hatte, war in jener Winternacht aufgekündigt worden.
    Eine Hand berührte seinen Rücken. »Kommst du, Vyves? Wir würden gern fahren, sonst sind wir bei Einbruch der Dunkelheit auf offener Straße.«
    Vyves fuhr herum und sah in Deborahs Gesicht. Sie trug schon ihren Schleier für die Reise, doch darunter quollen ihre roten Locken hervor, in denen auch heute ein König zu schlafen schien. Sie war noch immer die Schönste von allen, die Rose von Sharon, und die Geburt ihres Sohnes vor zwei Jahren hatte sie nur noch stärker zum Leuchten gebracht. Möge Adonai dich und die deinen behüten, betete Vyves inständig. Du hast alles Glück der Welt verdient.
    »Vyves?«
    Er versuchte zu lächeln. »Bitte entschuldige. Ich war in Erinnerung versunken.«
    »Das war nicht zu übersehen.« Sie wies mit einer Hand in den Raum. »Vyves, mein Schwiegervater sitzt bereits auf dem Wagen, und Isaac spielt Kutscher, aber ich habe Moses gesagt, ich lasse sie beide noch einmal absteigen, wenn du deine Meinung änderst. Warum kommst du nicht mit, Vyves? Du weißt, wir werden immer Platz für dich haben, wohin es uns auch treibt.«
    Ja, er wusste es. Ihre Großzügigkeit kannte keine Grenze. Deborah hatte ihm nie etwas übel genommen, und wenn er sie brauchte, würde sie für ihn da sein. Im Jahr nach Amicias Auszug hatte sie Samuel Crespins Sohn Moses geheiratet und ihm im Folgejahr den kleinen Isaac geboren. Mit dem Handel der Crespins war es abwärtsgegangen, und die Steine, die man ihnen in den Weg warf, türmten sich immer höher. Einmal waren gar alle jüdischen Haushaltsvorstände, darunter Deborahs Mann, in den Straßen zusammengetrieben und in Gefängnisse verschleppt worden, wo sie auf Befehl des Königs verblieben waren, bis ihre Gemeinden Lösegeld für sie gezahlt hatten. Dennoch waren sie irgendwie zurechtgekommen, und aller Unbill zum Trotz waren es gute Jahre gewesen. Ihre Familie mehrte sich und hing in Liebe aneinander. Sie bewohnten ein vortreffliches Haus und litten niemals Hunger. Dann aber war dieses erkämpfte Leben mit einem Schlag zu Ende gewesen. Aus dem Wirrwarr der ständig neu erlassenen Gesetze ergab sich, dass kein Jude das Besitzrecht an einem Haus länger als zehn Jahre halten durfte. In vielen Fällen hatte das keinerlei Folgen, da sich niemand um die von jüdischen Familien bewohnten Häuser kümmerte. Im Fall der Crespins aber stand eines Tages ein christlicher Kaufmann vor der Tür, der per Urkunde nachweisen konnte, dass das Haus, das seit Generationen im Besitz der Familie war, jetzt ihm gehörte, denn er hatte es von der Stadt gekauft. Der Kaufmann war kein Unmensch. Er hatte nichts dagegen, weiterhin Juden in seinem Haus wohnen zu lassen, zumal er selbst nicht plante, ins Judenviertel umzusiedeln. Die Miete, die er verlangte, hätten sie jedoch selbst mit vereinten Kräften niemals aufbringen können.
    Samuel und Moses hatten sich beraten, und nach einigen Tagen hatte Deborah den übrigen Hausbewohnern eröffnet: »Wir suchen uns keine neue Wohnung. Wir gehen aus England fort, und wenn ihr klug seid, tut ihr dasselbe, denn wann man mit allem jüdischen Leben hier ein Ende macht, ist lediglich eine Frage der Zeit.«
    Deborah und ihre Familie würden zunächst nach Dover fahren und von dort nach Frankreich übersetzen, wo Verwandte der Crespins lebten. Sollten sie dort nicht unterkommen, wollten sie weiter nach Süden reisen, der Wärme und den Gemeinden der Sepharden entgegen. »Überall ist es besser als hier«, hörte Vyves Deborah jetzt noch einmal sagen. »Wie lange willst du warten? Bis man euch das Dach über dem Kopf anzündet wie Josua oder euch ohne Grund an den nächsten Pfeiler knüpft?«
    »So schlimm wird es schon nicht werden«, erwiderte Vyves, obwohl er sich dessen keinesfalls sicher war.

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