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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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weiß es.«
    In diesem Augenblick sprang Amicia auf. »Und ich?«, rief sie in den hallenden Saal, und ihre Stimme war die einzige, die lebendig klang. »Was hätte mit mir geschehen sollen, wenn die Männer Abel nach Quarr gebracht hätten, wie Ihr es ausgehandelt habt?«
    Die beiden wandten sich ihr zu. In Amicias Kopf war die Wirkung des Weines bis auf den letzten Rest erloschen. Sie sah die zwei Gesichter glasklar. Diese beiden waren ihre Eltern – von der Mutter hatte sie die grünen Augen und das amselbraune Haar und vom Vater die ein wenig lyrisch-melancholischen Züge. Sie waren so sehr ihre Eltern, wie Tom und Dolasilla die Eltern von Stephen waren und Esther und Gideon die Eltern der kleinen Noya. Aber sie hatten mit dem, was Eltern ausmachte, nicht das Geringste gemein.
    »Verzeih, mein süßes Kleines«, nuschelte Adam. »Verzeih. Hätte ich dich vor mir stehen sehen, wie du heute vor mir stehst, das funkelndste Juwel von einer Tochter, mit dem je ein Mann gesegnet worden ist, ich hätte alles getan, um dich zu retten. Aber damals – verzeih mir, mein Geliebtes –, damals, als es um Abel und um alles oder nichts ging, habe ich wohl einfach nicht an dich gedacht.«
    Er widerte sie an. Jedes seiner süßen, säuselnden Worte war so ekelhaft, dass sie würgte.
    »Du musst das verstehen«, rief Isabel, jetzt wieder treulich mit ihm vereint. »Damals waren wir überzeugt, nur unser Sohn könne die Insel erben – wenn wir es klug anpacken und ihn im richtigen Augenblick aus dem Ärmel zaubern. Aber das war töricht. Ich war auch kein Sohn, und ich habe das Erbe meines Bruders angetreten, sosehr sich der König in London und all seine Speichellecker auch dagegen sträubten. Dir könnte dasselbe gelingen. Wir würden dir dabei helfen. Dass Adam dein Vater ist, kann kein Mensch beweisen, ein Kandidat, der sich eignet, findet sich schon, und letzten Endes kommt es darauf an, was der Mann einzubringen hat, den du heiratest. Wenn seine Stimme bei Hof Gewicht hat, stehen unsere Karten nicht schlecht.«
    »Ich heirate Vyves ben Elijah«, erwiderte Amicia schneidend. Und wir gehen fort von hier, wollte sie hinzufügen, ehe ich an euch beiden im Inneren erfriere . Ihre Arme umklammerten ihren zitternden Körper. Bevor sie aber noch ein Wort herausbrachte, brach im Hof der Lärm los.
    Anfangs wunderte sie sich nicht einmal, weil es nur klang, als sei an der Eiseskälte endlich etwas zerschellt. Dann nahm der Lärm Gestalt an. Metall klirrte, Holz splitterte, und mit dumpfem Krachen stürzte etwas zu Boden. Ein Schrei gellte. Hufgeklapper und schwere Schritte folgten, und dann übertönte der Schrei eines Mädchens den Rest.
    Isabel und Adam sprangen auf. In Amicias Ohren schwoll das Klirren und Rasseln zum Orkan. Es war das dritte Mal. Als sie loslaufen wollte, erwartete sie, zum dritten Mal ihre Glieder gelähmt vorzufinden, doch dieses Mal gehorchten ihre Beine anstandslos. Sie rannte zur Tür und schob die schweren Riegel zurück.
    »Bleib hier!«, schrie Isabel. »Um des Allmächtigen willen bleib in der Burg!«
    Adam schrie auch etwas, aber Amicia kümmerte sich nicht um die beiden, sondern stürmte in den Hof. Blendendes Licht schlug ihr entgegen. Der kleine Schober beim Westturm brannte lichterloh und warf sein gespenstisches Leuchten auf die Szene. Eines der Milchmädchen, das vermutlich mit einem der Stallknechte eine Nacht im Heu verbracht hatte, lag auf dem Pflaster, trommelte mit den Fäusten auf den Boden und schrie. Weiter hinten, bei der Treppe zu den Zinnen, lag ein Mann der Burgwache; sein Kopf war in einem Winkel verdreht, der kein Leben möglich machte. Über den Rest des Geländes tobte der Kampf. Amicia blieb an der Mauer der Halle stehen, weil es sinnlos war, einzugreifen.
    Trotz des grellen Lichtes dauerte es eine Weile, bis sich Konturen des Kampfgeschehens ausmachen ließen. Drei Männer drangen zu Pferd aufeinander ein, die übrigen, deren Pferde geflüchtet sein mochten, schlugen sich zu Fuß. Sie waren allesamt mit Schwertern bewaffnet; zwei der Reiter und einer der Fußkämpfer waren voll gerüstet, der zweite Reiter trug Helm und Kettenhemd, die übrigen waren lediglich durch Leder geschützt. Schnell erkannte Amicia, dass der Kampf nicht ausgeglichen war: Zwei Männer kämpften gegen sechs und damit praktisch auf verlorenem Posten, aber diese zwei – der gerüstete Fußkämpfer und der Reiter im Kettenhemd – gaben ihr Äußerstes, um die anderen in Schach zu halten. Und sie

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