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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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so hoffte, den Hieben ihrer rasiermesserscharfen Krallen zu entgehen. Er hörte Doria schreien und kämpfen. Und gleich würde er sie sterben hören, er war sicher. Wenn er nicht eher starb.
    Corey schlug um sich, war aber völlig machtlos. Der Drache biß zu. Er erwischte Corey am Bein und riß dabei ein grapefruitgroßes Stück Muskelfleisch aus dem Oberschenkel. Corey konnte vor Entsetzen nicht einmal schreien. Er konnte nur zusehen, wie ein Teil von ihm aus seinem Körper gerissen und gierig verschlungen wurde. Überall Blut, helles arterielles Blut.
Mein Blut.
Das konnte nicht wahr sein, dachte er noch, als seine Beine unter ihm nachgaben und er unter einsetzendem Schwindel in die Hocke ging. Es konnte nicht mehr richtig Atmen; seine Brust schien in einem Schraubstock zu stecken. Über ihm ragten die Drachen auf. Sie wogten über ihm wie die schwarzen Wellen eines urzeitlichen Meeres. Sie bespuckten Corey mit ihrem stinkenden Geifer. Eine Bestie schnappte nach Coreys rechter Hand und erwischte sie; biß zu; Corey verlor zwei Finger, als der Drache den kleinen Schädel ruckartig wieder zurückschnellen ließ. Wieder konnte Corey nicht schreien. Er betrachtete nur seine Hand.
Nie mehr Fliegen
, war seltsamerweise sein einzig vollständiger Gedanke. Er dachte nicht mehr an das Ei, an irgendeinen seiner toten Gefährten, nicht an Doria Patrick; er hatte sie völlig vergessen. Nichts existierte mehr für ihn. Nichts, außer den Stimmen in seinem Kopf. Ganz plötzlich war es so. Gefangen in einem Sturm aus einem Oratorium aus Lärm und gesetzloser Dynamik, wunderte er sich selbst, wie klar die folgenden Gedanken sich in seinem Kopf bildeten.
    (Reisender, dein innigstes Selbst wird nicht enden, nicht hier, an diesem Ort.)
    Reisender?
„Nicht ... sterben ...?“, sagte Corey wie zu sich selbst; seine Gedanken wateten wie durch Morast. „Nicht... hier...“
    (Nein. Aber irgendwann. Anderswo.)
    Ihm war, als schlitterte er gedanklich über eine Schlickschicht – aber zugleich stützte ihn irgend etwas mit großer, ungeteilter Kraft. „Aber wie...“
    (Gleichgültig.)
    Gleichgültig?
dachte er.
    (Ja. Jetzt schon. Paß auf.)
    Er wartete auf mehr, doch es kam nichts.
    „Hey!“
    Er hörte einen Schrei. Unzweifelhaft Patricks Stimme. „Dämlicher Idiot, steh auf! Du mußt aufstehen!“
    Seine eigene, schwache Stimme: „Aufstehen ... Aber wie...“
    Davonrennen oder sterben.
    Er lag da. Heiße Betonsplitter bohrten sich in seine Wange. Kein Erheben mehr. Kein Kämpfen. Wozu auch? Ein Drache riß ihm das linke Ohr ab und fraß es vor seinen Augen auf. Corey verdrehte die Augen. Zunächst wurde im speiübel, dann immer teilnahmsloser zumute. Er nahm immer weniger seine Umwelt wahr. Die blutigen Hände, mit denen er versucht hatte, Gesicht und Körper zu schützen, ließ er sinken. Sie berührten den Boden, den warmen Teerbelag, er spürte es. Corey, sein Verstand, driftete fort. Er schloß mit seinem Leben ab. Er war sicher, hier und jetzt starb er. (Zugleich er sich der Stimme von vorhin erinnerte, wonach er keinesfalls hier und jetzt sterben würde, aber anderswo, später.) Dann vernahm er ein Geräusch, ein eigenartiger Laut, der klang, als schnalzte jemand, um Nachsicht bemüht, mit der Zunge. Corey mußte an seine Mutter denken, an sich selbst als Kind, an eine alte, behütete Zeit, voll Wärme und ohne diese Angst, diesen am Rand allen Fühlens pochendem Schmerz und entsetzlichem Irrsinn. Und dann...
    Ein Energisches, Tausendstimmiges:
(Nein! Nicht jetzt.)
    „Was...?“
    Er glaubte noch, einen Blitz beim Hangar gesehen zu haben (rückblickend der erste weiße Flammenstoß vor einer Mündung), gefolgt vom lauten metallischen Klacken des Verschlusses eines Gewehrs, aber ihm blieb keine Zeit, darauf einzugehen – etwas traf den bei ihm hockenden Drachen direkt in die rechte Augenhöhle und drang mehrere Zentimeter tief in den harten Schädelknochen ein. Das Projektil barst; zig explodierende Teilchen verwandelten Hirngewebe, Muskelfleisch, Knochen in Mus, einen stinkenden Brei, der schwarzwolkig zerstäubte. Corey lag da, über und über bedeckt mit dem Zeug. Er war vor Überraschung wiegelähmt. Irgend jemand eröffnete das Feuer.
Längliche, Zehn-Millimeter-Hohlmantelgeschosse. Keine regulären Truppen; Spezialeinheiten. Dekorierte Scharfschützen. Einer von ihnen hat gerade meinen Arsch gerettet.
Corey hörte das Donnern der Schüsse massenhaft an den Wänden des Hangars zurückhallen und vielfach verstärkt in

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